Vom Prinzen zum Pagen

Vom Prinzen zum PagenVor einigen Tagen habe ich die Geschichte von Alen Abrahams im Internet entdeckt. ((http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/suedafrikaner-alen-abrahams-mausert-sich-zum-youtube-star-a-887356.html)) Alen ist Parkwächter in Südafrika – illegal. Er hat keine Genehmigung für diesen Job und tut diesen auch nie ohne Rollerblades, um möglichst schnell vor der Polizei fliehen zu können. Alen singt – und das gefiel einer Passantin so gut, dass sie ein Video von ihm machte und es in Internet stellte. Das Video breitete sich so schnell aus, dass Alen zum echten Internetstar wurde. Es folgten erste Einladungen in Radiosendungen, demnächst wird er auf Musikfestivals auftreten. Eine echte Internetkarriere beginnt und er hat erstmals das Geld, seinen völlig zerfledderten Personalausweis durch einen neuen zu ersetzen.

Spiegel Online betitelt die Story: „Vom Parkwächter zum YouTube-Star“. Wir kennen solche Sätze. Der bekannteste von ihnen ist wohl: „Vom Tellerwäscher zum Millionär.“ Davon ist unsere Gesellschaft geprägt. Immer weiter, schneller, besser, schöner, reicher, … die Richtung ist gar keine Frage, oder? Es geht nach oben! Und oben angekommen, möchte man dann vielleicht gerne auch einmal Prinzessin oder Prinz sein. Zumindest bildlich gesprochen. Wusstet ihr, dass das Wort „Prinz“ auf die Bedeutung „der Erste“ zurückgeht? Darum geht es doch im Leben. Erster zu sein. Andere hinter sich zu lassen, sich bedienen zu lassen. Dienen – das sollen mal die Pagen machen, dafür sind sie ja angestellt, das ist nichts für einen Thronfolger. Das ist nichts für jemanden, der an der Seite des Königs sitzt – an der Spitze. Page zu sein ist nun wirklich nicht das erstrebenswerteste. Wir wollen nach oben. Tatsächlich ging es auch den Jüngern so, und zwei von ihnen stellen Jesus deshalb …:

… eine unverschämte Frage (Markus 10,35–37)

35 Da gingen Jakobus und Johannes, die Söhne von Zebedäus, zu Jesus hin und sagten zu ihm: »Lehrer, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst!« 36 »Was möchtet ihr denn?«, fragte sie Jesus. »Was soll ich für euch tun?«

37 Sie sagten: »Wir möchten, dass du uns rechts und links neben dir sitzen lässt, wenn du deine Herrschaft angetreten hast!«

Jesus war mit seinen Jüngern in Richtung Jerusalem unterwegs. Was ihn dort erwarten würde, hatte er schon dreimal angekündigt – so ganz verstanden hatten das die Jünger aber anscheinend noch nicht. In Jerusalem würde es zum großen Finale kommen. Was Jesus die ganze Zeit erzählt hatte, sollte sich nun in Jerusalem erfüllen. Gottes Königsherrschaft war nun so nahe herbeigekommen, dass die Jünger es vielleicht schon riechen konnten. Das dachten sie zumindest. Das Markusevangelium deutet immer wieder an, dass die Jünger wohl andere Vorstellungen von dem Finale hatten als Jesus. Deshalb fangen Jakobus und Johannes schon einmal an, Vorkehrungen zu treffen. Vielleicht dachten sie sich: „Wenn Jesus jetzt bald König wird, dann haben wir als engste Vertraute doch sicher beste Chancen auf die Prinzenplätze links und rechts von ihm, dem König. Fragen wir doch lieber mal rechtzeitig, bevor die anderen es tun.“ Sie fragen auch sehr geschickt: Sie versuchen erst einmal, das Einverständnis von Jesus zu gewinnen. Ganz nach dem Motto: „Sag mir erst mal, dass du mir auf jeden Fall einen Gefallen tust, dann sage ich dir auch, was ich von dir will.“ Ich kenne das gut von zuhause. Wenn ich genau weiß, dass es eigentlich unverschämt ist, Julia um etwas zu bitten – zum Beispiel ob sie mir die Gummibärchen holt (obwohl ich sie genauso gut selbst holen könnte) – sage ich auch erstmal: „Schatz, tust du mir einen Gefallen?“, und lege mein freundlichstes Lächeln auf.

Doch den Jüngern geht es hier nicht um Gummibärchen … wonach fragen die beiden hier eigentlich? Links und rechts neben Jesus – das sind Ehrenplätze. Und worum es hier geht ist die Frage, nach welchem Maßstab im Königreich von Jesus gemessen wird. Was muss man vorweisen, um dort auf diesen Ehrenplätzen sitzen zu dürfen, zu den wichtigen Leuten zu gehören? Lasst mich kurz einschieben: Es geht hier nicht um die Frage, wie man überhaupt Teil dieses Königreiches wird – das geschieht allein durch Glauben. Hier geht es um die Frage der Konsequenzen: Wie verhalte ich mich unter der Königsherrschaft Gottes, welches Verhalten passt in dieses Reich? Dass ich dazugehöre, ist dabei schon vorausgesetzt.

Die Brüder fangen jedenfalls an zu rechnen: „Wenn Jesus bald seine Herrschaft antritt und wir uns jetzt schon vorzeitig die besten Plätze sichern, dann gehören wir zu den großen Leuten in diesem Reich. Dann sind wir oben angekommen. Da, wo jeder hin will.“ Jakobus und Johannes rechnen sich beste Chancen auf die hoch-herrschaftlichen Plätze aus, auf die Ministerpositionen im neuen Kabinett – da, wo man richtig was zu sagen hat. Ganz oben. Die Brüder erhoffen sich eine Menge von Jesus. Sie erwarten schließlich, dass er König wird. Sie erwarten, dass er herrschen wird — und sie erwarten, dass sie mitmachen dürfen, schließlich gehörten sie zu Jesus’ engsten Vertrauten.

Warum genau, wissen wir nicht, aber anscheinend hatten die Jünger sich selbst für würdige Sitznachbarn von Jesus gehalten – sonst hätten sie wohl nicht gefragt. Was glauben wir, warum wir – bildlich gesprochen – vielleicht einmal neben Jesus Platz nehmen dürfen? Das offensichtliche können wir schnell ausschließen: Geld ist es wohl nicht, Aussehen vermutlich auch nicht. Besondere Talente? Eher nicht. Aber was ist mit so christlichen Übungen wie Beten und Bibellesen? Zählt es vielleicht, wenn wir uns von der Welt fern halten und so fromm und heilig leben wie möglich? Alle Gebote einhalten? Einmal Sitznachbarn von Jesus sein – das ist doch eigentlich ein guter Wunsch. Das will ich doch auch. Aber auf die Bitte der beiden Jünger gibt Jesus …:

… eine verschlüsselte Antwort (Markus 10,38–40)

38 Jesus sagte zu ihnen: »Ihr wisst nicht, was ihr da verlangt! Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke? Könnt ihr die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?« 39 »Das können wir!«, sagten sie. Jesus erwiderte: »Ihr werdet tatsächlich den gleichen Kelch trinken wie ich und mit der Taufe getauft werden, die mir bevorsteht.

40 Aber ich kann nicht darüber verfügen, wer rechts und links neben mir sitzen wird. Auf diesen Plätzen werden die sitzen, die Gott dafür bestimmt hat.«

„Ihr wisst nicht, was ihr da verlangt!“ Je weiter sich die Reisegruppe Jerusalem nähert, desto größer wird im Markusevangelium das Unverständnis der Jünger für das, was dort passieren wird. Der König wird in seine Stadt einziehen. Ja, schon – aber ganz anders als erwartet. Auf ihn wartet keine pompöse Zeremonie, in der er zum König ernannt wird. Auf ihn wartet auch kein dekadenter Hofstaat, wie es sich für einen Herrscher scheinbar gehört. Auf ihn warten Abwehr, Beleidigung, Verletzung und letztlich der Tod. Wenig königlich. Und trotzdem ist das genau die Art und Weise, wie Jesus sein Königtum antritt, wie die Königsherrschaft Gottes funktioniert. Der Kelch, den Jesus trinken und die Taufe die er über sich ergehen lassen wird, haben nichts mit einem leckeren Festmahl oder einer fröhlichen Tauffeier zu tun. Beides sind Bilder für das Leid, das auf Jesus zukommt.

„Könnt ihr das auf euch nehmen?“ fragt Jesus. Anscheinend ist das der Maßstab, mit dem über die Ehrenplätze im Königreich von Jesus entschieden wird. Nicht Leistung, sondern Leiden und Verzicht auf sämtliche Privilegien. Wobei Jesus ja trotzdem noch offen lässt, wer genau auf diesen Ehrenplätzen sitzen wird. Die Möglichkeit dazu steht allen offen, die sich an dem entsprechenden Maßstab orientieren. Die Antwort auf die gar nicht ausdrücklich gestellte Frage nach dem Maßstab lautet dann: Kelch und Taufe. Leid und nochmals Leid.

Das klingt hart. Vor allem wenn man übersieht, dass Jesus von seinem Kelch und von seiner Taufe spricht. Beides ist nicht grundloses, vielleicht sogar sinnloses Leid, sondern eines, das aus der restlosen Selbsthingabe folgt. Es ist Leid aus Liebe. Und darum geht es Jesus, wenn er von seinem Kelch und seiner Taufe spricht: Um Liebe, die bereit ist, Leid bis zum Äußersten auszuhalten. Er fordert nicht dazu auf, sinnlos zu leiden! Es geht ihm um Liebe, die auch dann nicht in Hass umschlägt, wenn ihr selbst der ganze Hass der Welt entgegenschlägt.

Das halte ich für sehr wichtig. Ansonsten müssten wir ja sagen: „Kommt! Fügen wir uns gegenseitig Leid zu, dann werden wir in Gottes Königreich wichtige Leute sein!“ Darum geht es nicht. Es geht nicht um das Leid an sich, einfach so, sondern um die Bereitschaft, die Konsequenzen einer bestimmten Haltung auszuhalten. Und diese Haltung ist Liebe. Liebe, die bis zum Äußersten auf Privilegien verzichtet – so wie Jesus sie vorgel(i)ebt hat. Wir haben das in der Lesung (Phi 2,5–11) gehört. Diese Liebe macht sich verletzlich, weil sie sich nicht einigelt oder abschottet, sondern öffnet für andere und auf das Eigene verzichtet.

„Könnt ihr das?“, fragt Jesus. Jakobus und Johannes antworten: „Das können wir!“ Ich persönlich wäre jetzt schnell dabei zu sagen: „Diese Angeber!“ Doch Jesus bestätigt sie. Sie werden seinen Kelch trinken. Von Jakobus lesen wir das später tatsächlich in der Apostelgeschichte (12,2): Er wurde enthauptet. Dieses Leben steht im krassen Gegensatz zu allem, was wir am Anfang gesagt haben. Das ist das genaue Gegenteil von sozialem Aufstieg, von Erfolg und Ansehen. Das ist Leben gegen den Trend. Das ist freier Fall auf den Boden der Realität. Das ist freiwilliger – oder zumindest hinnehmender – Fall auf dem Boden einer neuen Realität, in der ein neuer Maßstab gilt. Es gilt nicht mehr, selbst möglichst schön, schnell, klug oder reich zu sein. Die Herrschaft, die Jesus antritt, ist eine ganz neue Art zu regieren – nämlich eine Herrschaft der Liebe, die nichts für sich selbst will, sondern alles für den anderen. (1Kor 13)

Über die Frage von Jakobus und Johannes regen sich die anderen zehn Jünger tierisch auf. Warum wissen wir nicht. Doch Jesus nimmt das zum Anlass für eine kurze Unterrichtseinheit in Sachen Königsherrschaft Gottes und gibt seinen Nachfolgern …:

… eine verrückte Aufgabe (Markus 10,41–45)

41 Die anderen zehn hatten das Gespräch mit angehört und ärgerten sich über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus alle zwölf zu sich her und sagte: »Ihr wisst: Die Herrscher der Völker, ihre Großen, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren. 43 Bei euch muss es anders sein! Wer von euch groß sein will, soll euer Diener sein, 44 und wer der Erste sein will, soll allen anderen Sklavendienste leisten.

45 Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben.«

Jesus macht erstmal eine Bestandsaufnahme. Die Herrscher der Völker – genauer übersetzt: die, die meinen, die Völker zu beherrschen – unterdrücken sie. Mal ehrlich: Bei allem, was wir in Deutschland zu beklagen haben – oder genauer gesagt: meinen beklagen zu müssen – können wir uns über unsere politische Situation eigentlich nicht beschweren. Wir leben in einem demokratischen Land, dass uns so viele Freiheiten gibt, an die wir uns schon gewöhnt haben. Aber wir bekommen auch tagesaktuell immer wieder Nachrichten von Orten der Welt, in denen das nicht der Fall ist. Wo nicht das Volk herrscht – denn das bedeutet „Demokratie“ – sondern wo totalitäre Herrscher oder Systeme ihre Macht ausüben. Vielleicht kommt einem Syrien in den Sinn, Ägypten, Nordkorea, Kuba, … (usw.). Auch Deutschland hat das hinter sich. Jesus sieht das erschreckend nüchtern: So läuft es nunmal in der Welt. Und ganz ehrlich: Vielleicht hat man manchmal sogar in unserer sehr hoch zu schätzenden Demokratie den Eindruck, dass es nicht um das Volk, sondern nur um das Ansehen der Regenten geht, oder?

Jesus lässt aber schon in seiner nüchternen Analyse Kritik durchscheinen: Wer so herrscht, meint nur zu herrschen. Doch echte Herrschaft – echtes Herr-sein – sieht anders aus. Wirkliche Herrschaft und echte Demokratie ist nicht nur Herrschaft des Volkes, sondern Herrschaft für das Volk. Das Wort „Minister“ zum Beispiel hat übrigens ursprünglich nicht wirklich etwas mit regieren zu tun: Es bedeutet „Diener“. So soll es auch in der Gemeinde laufen, unter den Nachfolgern von Jesus. Wer da wirklich wichtig ist, wird nicht an der Macht gemessen, sondern am Dienst. Auch von hier aus erklärt sich noch einmal, warum Jesus nach der Leidensbereitschaft fragte. Nicht einfach so, sondern er fragte: „Seid ihr bereit anderen so zu dienen, dass ihr dabei Leid in Kauf nehmt?“ So läuft es unter der Königsherrschaft Gottes, deshalb soll es auch in der Gemeinde so laufen. Der Maßstab der für uns gilt ist nicht Erfolg, Ansehen, Geld. Es geht auch nicht darum, wer die meisten frommen Übungen macht. Noch nicht einmal darum, wer sich am ehesten korrekt verhält und möglichst viele Gebote einhält. Der Maßstab für unser Verhalten, ist Jesu Verhalten.

45 Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben.

Um den Menschen zu dienen. Um sie aus der tödlichen Verstrickung der Sünde zu befreien – hier wird das mit dem Bild des Freikaufens beschrieben – hat er sich selbst eingesetzt und dafür selbst alles in Kauf genommen, was ihm an Hass, Beleidigung und Verletzung entgegengebracht wurde. Bis zum Tod.

Das stellt uns vor die verrückte Aufgabe, für unseren Dienst am Menschen bereit zu sein, auch Leid in Kauf zu nehmen und auf eigene Interessen zu verzichten. Ich glaube das gilt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinde. Es geht um eine viel größere Sache als um unser persönliches Wohlbefinden. Es geht um das Königreich Gottes, in dem Gott regiert – und zwar für seine Menschen. Nicht weil er Macht ausüben will, sondern weil er Verantwortung für seine Schöpfung übernimmt. Ich persönlich glaube, wenn es in der Gemeinde immer mehr so läuft, dass wir nach dem fragen, was anderen gut tut – dann ist Gemeinde auch für andere attraktiv.

Schluss

Zurück zu Alen Abrahams. Der Spiegel schrieb über ihn: „Der 31-Jährige will nun ein richtiger Star werden. Dann möchte er den Leuten in seinem Viertel helfen und natürlich auch seiner Familie.“ Ich gönne ihm von Herzen, ein Star zu werden. Doch der Bibeltext von heute erinnert uns daran, dass das nicht der Maßstab ist – weder für das Reich Gottes, noch für die Gemeinde, sondern das, was Alen laut Spiegel danach vor hat: Er will helfen. Seinem Viertel und seiner Familie dienen.

Jesus selbst hat es vorgelebt, was es heißt, vom hohen Ross herunterzusteigen und vom Prinzen zum Pagen zu werden. Stellen wir uns nicht die Frage: „Was habe ich davon, Christ zu sein?“! Sondern: „Was haben andere davon, dass ich Christ bin?“! Das ist der Maßstab, an dem sich die Gemeinde von Jesus zu orientieren hat: Sind wir bereit einander vorbehaltlos zu dienen? Auf das Eigene zu verzichten und für andere zum Pagen zu werden? Das wäre doch mal ein Leben gegen den Trend. Versuchen wir es! Denn Jesus selbst hat uns aus Liebe bis zum Äußersten gedient. Er wurde für uns: Vom Prinzen zum Pagen.

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