Eine Predigt über die Jahreslosung

Es gibt sie. Worte, mit denen wir Großes verbinden. Worte, die in Erinnerung bleiben, Worte, die Gewicht haben: „Ein kleiner Schritt für mich, doch ein großer Schritt für die Menschheit.“ „Niemand hat vor eine Mauer zu bauen“, „Ich habe einen Traum“, „Ich bin ein Berliner“, oder vielleicht etwas aktueller: „Es wird keine Steuererhöhungen geben.“

Das sind Worte, an die wir uns im Nachhinein erinnern, weil sie etwas bewegt haben, weil sie in Momenten entstanden sind, in denen es um etwas ging, in denen es um Fortschritt, Menschenrechte, Freundschaften oder das Geld der Steuerzahler ging.

Heute beschäftigen wir uns nicht mit Worten, die uns in Erinnerung geblieben sind oder die für uns im letzten Jahr bewegend waren. Sondern heute geht es um Worte, die bewegend sein sollen, die uns im kommenden Jahr in Erinnerung bleiben sollen.

Heute geht es um die Jahreslosung.

Die Jahreslosung. Sie ist eine Art biblisches Motto für das kommende Jahr. Richtschnur, Grundlage für die 360 Tage, die kommen werden. Sie ist ein Bibelvers, der von einer Kommission in vielen Schritten ausgesucht wird, um als Leitvers für ein ganzes Jahr zu stehen. Die Jahreslosung 2014 lautet: „Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ Worte, die im Jahr 2014 in Erinnerung bleiben sollen, Worte, die etwas bewegen sollen, weil sie wichtig sind, weil sie Gehalt haben.

Menschen füllen Glück ganz unterschiedlich. Häufig geht es um Ereignisse, Lebensabschnitte, Momente, die als als Glück empfunden werden. (Ich erinnere mich besonders an den glücklichen Moment letzten Montag als ich in Schweden auf einem See diesen Hecht an der Angel hatte…) Glück kann sich also auf ganz unterschiedliche Dinge beziehen. In der Jahreslosung haben wir einen Menschen, der sein Glück mit Gott füllt. Er bekennt: Gott nahe zu sein ist mein Glück. Das hört sich erstmal ganz gut an, aber wie kommt dieser Menschen darauf, so etwas zu sagen, wo Glück häufig doch so ganz anders gefüllt wird. Gott nahe zu sein ist mein Glück. Ist das nicht etwas platt, fromm? Empfinden wir die Realität oft nicht ganz anders?

Ich will ehrlich sein: Meine Realität sieht anders aus! Ich renne nicht durch die Gegend und rufe laut: Gott nahe zu sein ist mein ganzes Glück! Mein Leben ist nicht durchzogen von Glücksgefühlen. Zumindest nicht immer. Und ich bin froh über den Psalm aus dem die Jahreslosung stammt. Denn auch die Realität des Menschen, der bekennt: Gott nahe zu sein ist mein Glück, sieht so ganz anders aus, als man vermutet. Ich möchte euch den ersten Abschnitt des Psalms vorlesen, aus dem die Jahreslosung stammt. Ich lese Psalm 73,1–16:

Ps 73, Verse 1–16:  1 Ich weiß es: Gott ist gut zu Israel, zu allen, die ihm mit ganzem Herzen gehorchen. 2 Doch beinahe wäre ich irregeworden, ich wäre um ein Haar zu Fall gekommen: 3 Ich war eifersüchtig auf die Menschen, die nicht nach dem Willen Gottes fragen; denn ich sah, dass es ihnen so gut geht. 4 Ihr Leben lang kennen sie keine Krankheit, gesund sind sie und wohlgenährt. 5 Sie verbringen ihre Tage ohne Sorgen und müssen sich nicht quälen wie andere Leute. 6 Ihren Hochmut tragen sie zur Schau wie einen Schmuck, ihre Gewalttätigkeit wie ein kostbares Kleid. 7 Ihr Luxusleben verführt sie zur Sünde, ihr Herz quillt über von bösen Plänen. 8 Ihre Reden sind voll von Spott und Verleumdung, mit großen Worten schüchtern sie die Leute ein. 9 Sie reißen das Maul auf und lästern den Himmel, ihre böse Zunge verschont nichts auf der Erde. 10 Darum läuft das Volk Gottes ihnen nach und lauscht begierig auf ihr Geschwätz. 11 »Gott merkt ja doch nichts!«, sagen sie.»Was weiß der da oben von dem, was hier vorgeht?« 12 So sind sie alle, die Gott verachten; sie häufen Macht und Reichtum und haben immer Glück. 13 Es war ganz umsonst, Herr, dass ich mir ein reines Gewissen bewahrte und wieder und wieder meine Unschuld bewies. 14 Ich werde ja trotzdem täglich gepeinigt, ständig bin ich vom Unglück verfolgt. 15 Aber wenn ich so reden wollte wie sie, würde ich alle verraten, die zu dir gehören. 16 Ich mühte mich ab, das alles zu verstehen, aber es schien mir ganz unmöglich.

Hier merken wir, die Realität, das Leben des Psalmbeters sieht ganz anders aus, als wir das vermuten. Sie ist gestört. Das, was er sich an Gedankengebäuden, an Lehren über das Leben und über Gott und über die Menschen zurecht gelegt hat, passt nicht zu dem, was er erlebt. Er erlebt das Leben anders. Ungerecht. Unbefriedigend. Er zählt sich zu den Gerechten. Zu denjenigen, die ein Leben mit Gott führen, zu denen, die sich an Gottes Gebote halten. Seine Ethik, seine Wertvorstellungen sind eng geknüpft an das, was Gott will, an dem was Gott für das Beste hält. Der Beter bemüht sich. Er plagt sich sein Leben lang ab, um ein Leben zu führen, das gut ist. Gut für ihn, gut für andere Menschen und gut für Gott.

Doch nach seiner Wahrnehmung ist das alles für die Katz. Einfach umsonst. Es lohnt sich nicht. Er bemüht sich gut zu Leben und wird bestraft. Er befolgt eine strenge Ethik und wird krank. Er streckt sich nach Gott aus und spürt davon nichts. Das ist sein Leben.

Und das Leben der Gottlosen? Es scheint zu laufen wie am Schnürrchen. Obwohl sie nicht nach Gottes Willen leben, führen sie ein Leben in Saus und Braus. Sie sagen: „Gott merkt ja doch nichts, mir ist es egal, was er denkt, wie er über mich und mein Leben denkt.“

Eigentlich müsste es ihnen doch schlecht gehen, weil sie nicht ansatzweise so leben, wie Gott es sich vorstellt. Doch der Beter sagt: „Sie häufen Macht und Reichtum an und haben immer Glück.“ Warum geht es mir da so schlecht und den Gottlosen so gut?

Eigentlich müsste es doch anders sein sein: Wenn ich etwas Gutes tue, muss am Ende auch etwas Gutes dabei raus kommen. Wenn ich mich anstrenge, muss meine Mühe doch belohnt werden.

Das ist ungerecht, unfair, unverständlich und wird meiner Vorstellung vom Leben nicht gerecht.

Der Beter lebt in einer extremen Spannung: Ein Leben mit Gott sollte ihn doch eigentlich glücklich stimmen, ein Leben mit Gott muss sich doch irgendwie auszahlen? Was habe ich denn davon, die ganzen Gebote zu befolgen und mich nach dem zu richten, was mir gesagt wird. Eigentlich muss es mir gut gehen! Aber so ist es nicht. So war es damals nicht und so ist es heute nicht.

Wir erleben, dass Christen verfolgt werden. Ein kleiner Blick über den Tellerrand genügt, um festzustellen, dass neben der heilen Welt in Westeuropa Christen in anderen Ländern der Erde extreme Gefahren auf sich nehmen müssen, um ihren Glauben leben zu können. Wo ist da das Glück?

Das ist gefühlt jedoch oft weit weg von uns. Wie sieht es bei uns aus? Wenn du von dir sagst, dass du Christ bist, wie erlebst du das? Ich strenge mich an, arbeite hart, tue, was in meiner Macht steht und belohnt wird jemand anderes. Ich setze mich ein, engagiere mich, kämpfe für die Rechte der Unterdrückten und Schwachen und am Ende leide ich selbst. Was ergibt das für einen Sinn?

Es kann auch sein, dass du mit diesem Christsein nichts anfangen kannst. Vielleicht nicht mehr oder noch nicht. Weil du dir genau diese Frage stellst: „Was habe ich denn davon, dass ich Christ bin? Ich bin kein besserer Mensch, die anderen Christen sind keine besseren Menschen und die frommen Floskeln helfen mir auch nicht weiter. Wenn Gott Nahe zu sein heißt, du musst beten, du musst Bibellesen, du musst in den Gottesdienst gehen, dann macht mich das nicht glücklich und besser geht es mir damit auch nicht.“

Wenn es dir so geht, dann ist das hier dein Psalm. Denn auch der Beter macht die Erfahrung, dass es in der Beziehung zu seinem Gott nicht darum gehen kann ein besseres Leben zu führen, erfolgreicher zu sein, beliebter, schöner, glücklicher zu sein. Das wird dem Leben einfach nicht gerecht. Und ich glaube es wird Gott nicht gerecht.

Zum Schluss gesteht der Beter: Ich habe versucht das alles zu verstehen, aber es hat nicht funktioniert, es schien mir unmöglich. Wir können uns nicht alleine darauf verlassen unser Leben mit Modellen erklären zu wollen. Wenn ich nur dieses oder jenes tue, wird dieses oder jenes geschehen. Wir machen die Erfahrung, dass uns das wirkliche Leben einen Strich durch die Rechnung macht. Am Anfang des Jahres 2014 überlegen wir uns, welche Herausforderungen auf uns warten, was auf dem Plan steht. Vielleicht machen wir uns Vorsätze. Aber letzten Endes machen wir die Erfahrung, dass unser Leben komplexer ist, als dass wir es am Anfang eines Jahres überblicken könnten.

Da bleibt die Frage, wie kommt ein Menschen trotzdem dazu zu sagen: Gott nahe zu sein ist mein Glück? Wieso lohnt es sich für uns trotzdem zu sagen, dass diese Worte für uns große Worte in diesem Jahr sein sollen? Warum lohnt es sich das Jahr 2014 unter dieses Motto zu stellen? Ich lese den Psalm weiter:

Ps. 73,17–28

17 Doch dann kam ich in dein Heiligtum. Da erkannte ich, wie es mit ihnen ausgeht:18 Du stellst sie auf schlüpfrigen Boden;  du verblendest sie, damit sie stürzen. 19 Ganz plötzlich ist es aus mit ihnen, sie alle nehmen ein Ende mit Schrecken. 20 Herr, wenn du aufstehst, verschwinden sie wie die Bilder eines Traumes beim Erwachen. 21 Als ich verbittert war und innerlich zerrissen, 22 da hatte ich den Verstand verloren, wie ein Stück Vieh stand ich vor dir. 23 Und dennoch gehöre ich zu dir! Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich; 24 du leitest mich nach deinem Plan und holst mich am Ende in deine Herrlichkeit. 25 Wer im Himmel könnte mir helfen, wenn nicht du? Was soll ich mir noch wünschen auf der Erde? Ich habe doch dich! 26 Auch wenn ich Leib und Leben verliere, du, Gott, hältst mich; du bleibst mir für immer! 27 Wer sich von dir entfernt, geht zugrunde; wer dir untreu wird, den vernichtest du. 28 Ich aber setze mein Vertrauen auf dich, meinen Herrn; dir nahe zu sein ist mein ganzes Glück. Ich will weitersagen, was du getan hast. 

Wenn wir vorher gemerkt haben, dass das Glück im Leben, das Glück, das wir durch das Christsein erfahren nicht darin liegen kann, erfolgreicher, angesehener, gesünder zu sein, dann muss es etwas anderes geben, was den Beter glücklich werden lässt.

Was sagt er? Er sagt zu Gott: ich kam in dein Heiligtum. Da erkannte ich, wie es mit ihnen ausgeht. Mit anderen Worten: Die Perspektive des Beters ändert sich. Wir wissen nicht genau, was da passiert ist in diesem Heiligtum. Manche sagen, er ist in den Tempel, quasi zu einem Gottesdienst gegangen und alles war gut. Ehrlich gesagt ist mir das zu wenig. Es kann nicht sein, dass fromme Aktivitäten wie Bibellesen oder in den Gottesdienst gehen schon alleine ein Garant dafür sind, dass sich plötzlich unsere gesamte Perspektive auf das Leben ändert.

Fest steht, der Beter hat eine Gotteserfahrung gemacht, die seine Perspektive verändert hat. Durch die veränderte Perspektive hat er gemerkt, dass das, was er bei den Gottlosen beneidet hat, das, was ihn so zerrissen hat, nicht das ist, was letzten Endes zählt. Reichtum, Macht, Geld, ja, sogar Gesundheit sind nicht das, was am Ende zählt, sondern was am Ende zählt ist Gottes Nähe. Was dich am Ende trägt, ist die Nähe deines Gottes. Er bekennt, auch wenn ich Leib und Leben verliere– und da geht es um alles, um unsere Existenz, um Leben und Tod – du, Gott, hältst mich; du bleibst mir für immer!

Wie konnte sich seine Perspektive so ändern? Was ist da passiert? Wir lesen nichts davon, dass sich die äußeren Umstände geändert haben. Wir lesen nichts davon, dass die Reichen plötzlich Arm und die Armen plötzlich reich sind. Nichts dergleichen.

Was wir lesen ist, dass Gott selbst ihm nahe gekommen ist. Nur weil Gott selbst nahe gekommen ist, kann der Beter sagen, Gott nahe zu sein ist mein Glück. Er sagt: DU hast meine Hand ergriffen und hältst mich. DU leitest mich, DU holst mich in deine Herrlichkeit. Wer kann mir helfen, wenn nicht DU? Auch wenn ich Leib und Leben verliere, DU, Gott hältst mich, DU bleibst mir für immer!

Der Beter hat die Erfahrung gemacht, dass es nicht darum geht, dass das Leben gelingt, wie reich, schön oder glücklich man ist, sondern was ihn verändert hat, ist die Begegnung mit seinem Gott. Was ihn verändert hat ist, dass Gott ihm begegnet ist. Nicht der Beter macht, dass sein Leben gelingt, sondern allein die Erfahrung dass Gott sein Leben in die Hand nimmt, lässt sein Leben gelingen.

Das ist genau das, was wir an Weihnachten gefeiert haben. Gott kommt uns Nahe. Er kommt als Mensch auf diese Erde. Wir haben gefeiert, dass es nicht darum geht, wie wir zu Gott „hoch“ kommen, sondern wir feiern, dass Gott zu uns kommt. Das ist für mich das Evangelium. Gott kommt zu uns, damit wir sagen können: Gott nahe zu sein ist mein Glück.

Sicherlich, wir sind Menschen. Wir brauchen Orte, Zeiten, Gewohnheiten, Begegnungen, Menschen mit uns an denen wir das erleben. Wir sind auf die Erfahrung angewiesen, dass Gott uns Nahe ist. Diese Erfahrung hat der Beter gemacht.

An dieser Stelle möchte ich kurz eine nette Anekdote über die diesjährige Jahreslosung einfließen lassen. Dieser Arbeitskreis, der den Vers auswählt, hatte bereits die Jahreslosung nach der Einheitsübersetzung verabschiedet. Da heißt es: „Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ Das wird auch der Urfassung des Textes gerechter. Und nun kamen die ganzen Verlage, die die Jahreslosung auf Karten, Kulis, oder Kalender drucken und haben gesagt: „Hey, Freunde, das Ganze ist uns zu sperrig, streicht bitte die ersten beiden Wörter.“ Und tatsächlich, das haben sie getan. Der Arbeitskreis hat die ersten beiden Wörter gestrichen. Hier hat der Kapitalismus gesiegt.

Für die Bedeutung des Verses sind diese Wörter aber wichtig. Heute wollen wir sie nicht streichen. In der Übersetzung, die ich vorgelesen habe, heißt es: Ich aber setze mein Vertrauen auf dich! Das „Ich aber“ ist ein Bekenntnis, eine Positionierung. Der Beter hat die Erfahrung gemacht, dass Gott sein Leben in der Hand hat, dass Gott für ihn da ist, ihn leitet. Auch wenn die äußeren Umstände anders aussehen, auch wenn das Leben oft anders aussieht. Der Beter weiß sicher, dass Gott derjenige ist, der letzten Endes alles in der Hand hält!

Was heißt das für uns? Wie können wir plötzlich wissen und bekennen, dass Gottes Nähe unser ganzes Glück ist? Falls du die Erwartung hast, dass ich dir sage, wie ein glückliches Leben mit Gott aussieht, dann muss ich dich leider enttäuschen. Das kann ich dir nicht sagen. Das liegt aber nicht daran, dass ich selbst nicht glücklich wäre, mit Gott zu leben oder nicht das Gefühl hätte in der Nähe Gottes zu leben. Sondern das liegt daran, dass ich dir diese Erfahrung, dieses Bekenntnis, diese Positionierung nicht abnehmen kann.

Ich möchte dich heute einladen so ehrlich zu sein, wie der Psalmbeter. Der Psalmbeter hat alles, was ihn beschäftigt, seinen Zorn, seinen Neid, seine Sorgen, seine Zweifel, seinen ganzen Ärger vor Gott gebracht. Er hat Gott gesagt, was ihn stört, was er nicht versteht, was er am Leben nicht versteht, was er an Gott nicht versteht. Und wir haben gesehen, dass er die Erfahrung gemacht hat, dass Gott geantwortet hat. Gott hat diese Dinge nicht ignoriert, sondern er hat sie ernst genommen. Er hat dem Beter die Erfahrung geschenkt, dass er ihm Nahe ist, dass er ihn an der Hand nimmt und ihn leitet, dass er für ihn da ist.

Ich lade dich ein ehrlich zu sein und Gott zu sagen, was dich beschäftigt. Ihm deine Zweifel, deine Ängste, das, was dich von ihm trennt zu sagen.

Ich wünsche dir, dass Gott dir begegnet. Dass du die Erfahrung machen kannst, wie der Psalmbeter. Die Erfahrung, dass Gott da ist, dass Gott trägt, dass Gott Nahe ist.

Diese Erfahrung wünsche ich dir, damit auch für dich dieser Satz große Worte werden, an die du dich häufig erinnerst: Ich aber vertraue dir, denn Gott nahe zu sein ist mein ganzes Glück.

Amen.

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