Doppelbuchschau: Sünde (Dietz) und Reformation (Brudereck/Mette)

Gestern habe ich die Busfahrt von Marburg nach Hause genutzt und zwei Bücher ausgelesen, die mich seit einigen Tagen parallel begleiteten. Ein kurzer Rückblick.

 

Reformation des Herzens (Brudereck/Mette)

Mit dem Reformationstag 2016 (31. Oktober) beginnt ein Jahr großer Feierlichkeiten für die evangelischen Kirchen, die sich als „Kinder der Reformation“ ((Vgl. Markus Iff, „Wir sind Kinder der Reformation“ – wie evangelisch sind Freie evangelische Gemeinden? In: Theologische Impulse Bd. 27, Witten 2015, 130–165.)) verstehen. Ich nahm mir das zum Anlass, ab dem  Sonntag nach dem Reformationstag (6. November) eine Predigtreihe zu den vier Exklusivpartikeln solus christus, sola gratia, sola fide, sola scriptura zu basteln. Als Inspiration dazu habe ich mir das Buch von Christina Brudereck und Jürgen Mette angeschaut. (Amazon.de)

Eine evangelische (=evangeliumsorientierte) Erinnerung und Ermunterung. Daran ändern auch so unprotestantisch klingende Sätze wie „Das Abendmahl hilft mir, in dieser Welt auf Wandlung zu hoffen.“ (46) nichts. Das Buch will als eine Art Andachtsbuch verstanden werden. Die einzelnen Abschnitte können je für sich gelesen werden. Interessant ist, wie schnell man merkt, wer welche Texte verfasst hat. Weitgehend theologisch solide bearbeiten die beiden Autoren die vier Exklusivpartikel der Reformation: Gnade, Schrift, Christus, Glaube – wobei sich mir die Reihenfolge bis zuletzt nicht erschließen wollte. Beeindruckend fand ich die sprachliche Wucht von Christina Brudereck, wenngleich sie das ein oder andere Lieblingssprachspiel für meinen Geschmack seltener hätte gebrauchen können. Überführend ehrlich, wie Jürgen Mette biografisches verarbeitet und deutet, selbstkritisch – immer aber auch wieder mit kleinen Seitenhieben, die man sich an mancher Stelle hätte sparen können.

Alles in allem eine empfehlenswerte Lektüre, auch wenn die einzelnen Abschnitte von teilweise recht unterschiedlicher (theologischer) Qualität sind und manche Kuriosität bieten, etwa ein personalisierender Lobgesang auf die Bibel („Danke, verehrte Bibel, …“) nach dem so wichtigen Bekenntnis: „Ich glaube nicht an die Heilige Schrift“. Das tut dem Gesamteindruck aber nicht viel. Daher meine Leseempfehlung als Einstieg in manche reformatorische Frage – wer sich mit solchen allerdings schon einmal näher beschäftigt hat, wird nicht zu viel Neues finden.

Sünde (Dietz)

Das zweite Buch der letzten Tage ist „Sünde“ von Thorsten Dietz, Professor für Systematische Theologie an der EH Tabor und Privatdozent an der Philipps-Universität Marburg. Mit „Sünde“ (Link zu Amazon.de) legt er den Versuch or, einen sehr verstaubten Begriff für die heutige Zeit wieder greifbar zu machen. Eine ausführlichere Rezension hat Tom bereits geschrieben, daher nur wenige Hinweise.

Mich hat das Buch insbesondere gegen Ende fasziniert. Dietz’ Deutung des Lebens Jesu ist eine großartig zu lesende Erzählung, die nicht als fromm überschwurbelte Aneinanderreihung von Richtigkeiten daherkommt. Dieser (von Bonhoeffer inspirierte) Ansatz, die religiös-christlichen Ansichten tatsächlich in Lebenserfahrung auszudeuten, durchzieht das ganze Buch. Nach wie vor unentschlossen bin ich, ob die religiöse Dimension tatsächlich am Ende besser platziert ist als am Anfang – es bleibt so aus meiner Sicht etwas offen, wohin die Reise gehen soll (das ist ein subjektiver Eindruck, den man womöglich am Text widerlegen könnte).

Dietz’ Entwurf ist nicht nur thematisch interessant, sondern insbesondere exemplarisch – denn das Problem der Unverständlichkeit bezieht sich heute nicht nur auf den Begriff der Sünde, sondern auch auf andere Fachvokabeln und ganze Gedankenkonstrukte des christlichen Glaubens. Diese in heutige (!) Lebenserfahrung zu übersetzen gehört zu den großen Herusforderungen der Theologie einer jeden Zeit. Mit „Sünde“ macht Thorsten Dietz einen interessanten und vorzüglich lesbaren Vorschlag, wie es heute gehen könnte.

Kommentar verfassen