Exegetische Predigtnotizen #7: 2Kor 1,3–11

Der im Folgenden ausgelegte Text ist Grundlage für den ersten Teil einer Predigtreihe zu Ostern in der FeG Fischbacherberg unter dem Titel „Das große TROTZ“. Die Auslegung hat wie immer Notizencharakter und führt die Gedanken nicht abschließend zusammen – das bleibt der Predigt vorbehalten 😉

1        Text

3 Εὐλογητὸς ὁ θεὸς καὶ πατὴρ
τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ,
ὁ πατὴρ τῶν οἰκτιρμῶν
καὶ θεὸς πάσης παρακλήσεως,
Gepriesen ist der Gott und Vater
unseres Herrn Jesus Christus,
der Vater des Erbarmens
und der Gott allen Trostes.
4 ὁ παρακαλῶν ἡμᾶς ἐπὶ πάσῃ τῇ θλίψει ἡμῶν
εἰς τὸ δύνασθαι ἡμᾶς παρακαλεῖν
τοὺς ἐν πάσῃ θλίψει
διὰ τῆς παρακλήσεως
ἧς παρακαλούμεθα αὐτοὶ ὑπὸ τοῦ θεοῦ.
Der uns tröstet in all unserer Bedrängnis,
so dass wir die trösten können,
die in aller [möglichen] Bedrängnis sind
mit dem Trost,
mit dem wir selbst von Gott getröstet werden.
5 ὅτι καθὼς περισσεύει
τὰ παθήματα
τοῦ Χριστοῦ εἰς ἡμᾶς,οὕτως διὰ τοῦ Χριστοῦ
περισσεύει καὶ
ἡ παράκλησις ἡμῶν.
Denn wie wir überschüttet werden
mit den Leiden
Christi,
so werden wir durch Christus
auch überschüttet
mit Trost.
6 εἴτε δὲ θλιβόμεθα,
ὑπὲρ τῆς ὑμῶν παρακλήσεως καὶ σωτηρίας·
εἴτε παρακαλούμεθα,
ὑπὲρ τῆς ὑμῶν παρακλήσεως
τῆς ἐνεργουμένης ἐν ὑπομονῇ
τῶν αὐτῶν παθημάτων
ὧν καὶ ἡμεῖς πάσχομεν.
Werden wir aber bedrängt,
so passiert das zu eurem Trost und eurer Rettung;
werden wir getröstet,
so passiert das zu eurem Trost,
der wirksam wird in einer Geduld
für dieselben Leiden,
die auch wir erleiden.
7 καὶ ἡ ἐλπὶς ἡμῶν βεβαία ὑπὲρ ὑμῶν
εἰδότες
ὅτι ὡς κοινωνοί ἐστε τῶν παθημάτων,
οὕτως καὶ τῆς παρακλήσεως.
Und unsere Hoffnung für euch ist unerschütterlich,
weil wir wissen,
dass wie ihr an den Leiden teilhabt,
so auch am Trost.
8 Οὐ γὰρ θέλομεν ὑμᾶς ἀγνοεῖν,
ἀδελφοί,
ὑπὲρ τῆς θλίψεως ἡμῶν
τῆς γενομένης ἐν τῇ Ἀσίᾳ,
ὅτι καθ᾿ ὑπερβολὴν
ὑπὲρ δύναμιν
ἐβαρήθημεν
ὥστε ἐξαπορηθῆναι ἡμᾶς καὶ τοῦ ζῆν·
Denn wir wollen euch nicht in Unkenntnis lassen,
liebe Brüder und Schwestern,
über unsere Bedrängnis,
die in der [Region] Asia geschehen ist:
Dass wir über alle Maßen
– über das Vermögen –
niedergedrückt wurden,
sodass wir sogar am Leben verzweifelten.
9 ἀλλὰ αὐτοὶ ἐν ἑαυτοῖς
τὸ ἀπόκριμα τοῦ θανάτου ἐσχήκαμεν,
ἵνα μὴ πεποιθότες ὦμεν ἐφ᾿ ἑαυτοῖς
ἀλλ᾿ ἐπὶ τῷ θεῷ τῷ ἐγείροντι τοὺς νεκρούς·
Aber wir hatten bei uns selbst
das Todesurteil schon erhalten,
damit wir nicht auf uns selbst vertrauen,
sondern auf den Gott, der die Toten auferweckt.
10 ὃς ἐκ τηλικούτου θανάτου
ἐρρύσατο ἡμᾶς καὶ ῥύσεται,
εἰς ὃν ἠλπίκαμεν [ὅτι]
καὶ ἔτι ῥύσεται,
Aus solch grosser Todes[not]
hat er uns errettet und wird uns erretten;
der, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben,
wird auch wieder retten.
11 συνυπουργούντων καὶ ὑμῶν ὑπὲρ ἡμῶν τῇ δεήσει,
ἵνα ἐκ πολλῶν προσώπων
τὸ εἰς ἡμᾶς χάρισμα
διὰ πολλῶν εὐχαριστηθῇ
ὑπὲρ ἡμῶν.
Und auch ihr helft uns mit eurer Fürbitte;
damit von vielen Personen
für das uns gegebene Gnadengeschenk
durch Viele Dank gesagt wird
stellvertretend für uns.

 

2        Allgemeines zum zweiten Korintherbrief[1]

Dass tatsächlich der Apostel Paulus diesen Brief geschrieben hat, steht heute außer Zweifel, im Gegensatz zu anderen Briefen, die das von sich angeben. Er gehört damit zu den sogenannten Protopaulinen (neben Röm, 1Kor, Gal, Phil, 1Thess, Phlm). Geschrieben wurde er vermutlich im Jahr 55 n. Chr. und gehört damit zu den ältesten Schriften des Neuen Testaments (nach 1Thess und 1Kor). Was man schnell vergisst: Er ist damit natürlich auch älter als die Evangelien (ab ca. 70 n. Chr.), die in der Reihenfolge der Bücher des Neuen Testaments davor stehen.

Der Brief zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass Paulus sich in seiner Autorität gegen einige Gegner zu behaupten versucht.[2] Man bemerkt zwischen den Kapiteln 1–9 und 10–13 einen deutlichen Einschnitt und eine veränderte Situation. In den ersten Kapiteln wirkt das Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde noch sehr positiv, im zweiten Teil argumentiert und polemisiert Paulus teilweise sehr scharf gegen die Ablehnung, die ihm (von einigen Korinther*innen?) entgegengebracht wird. Es gibt verschiedene Theorien, wie es zu diesem Unterschied kommt, das muss hier nicht diskutiert werden. Es seien nur zwei in aller Kürze angedeutet: Entweder wurden verschiedene Briefe an die Korinther  nachträglich zusammengestellt und so miteinander überliefert und harte literarische Übergänge weisen dementsprechend auf eine ursprüngliche Eigenständigkeit einzelner Textpassagen – man nennt das eine literarkritische These. Oder während der Abfassung des 2Kor bekam Paulus Nachricht aus Korinth, sodass sich sein Ton daraufhin deutlich verschärft – eine solche Erklärung versucht, den vorliegenden Text zunächst so zu verstehen, wie er ist. Welche Variante man bevorzugt hängt – neben den überzeugenderen Argumenten – vor allem davon ab, wie man Bibeltexte im Allgemeinen theologisch versteht.

3        Kontext, Sprache und Struktur

Der Kontext der Perikope ist recht überschaubar: Nach einem Präskript mit Nennung von Absendern und Adressaten sowie einem Gruß in den V. 1–2 findet sich in den V. 3–11 das sogenannte Proömium, ein einleitendes Stück. Es ist in V. 8 durch eine disclosure-Formel („Denn wir wollen euch nicht in Unkenntnis lassen“, Ankündigung einer Kenntnisgabe) in zwei zusammengehörige[3] Abschnitte geteilt. Der erste Teil V. 3–7 ist rhetorisch sehr fein gestaltet, es finden sich viele Stilmittel (Wortwiederholungen, Alliterationen, …), die eine Übersetzung ins Deutsche nicht ohne Weiteres zum Ausdruck bringen kann. Der zweite Teil ist wesentlich einfacher gehalten, was sicher auch mit dem unterschiedlichen Inhalt zu tun hat: Ging es im ersten Teil um einen theologischen Gedankengang, gibt der zweite Teil eine von Paulus gemachte Erfahrung weiter.

4        Einzelauslegung 2Kor 1,3–7

4.1      Vers 3: Gott als Grund für Trost und Erbarmen

Es fällt auf, dass Paulus statt der üblichen Eucharistie „Ich danke …“ (εὐχαριστῶ) eine Eulogie „Gelobt sei …“ (εὐλογητός) verwendet. Der Dank folgt erst in V. 11, allerdings mit dem ungewöhnlichen Akzent, dass der Dank sich sachlich auf Paulus (und seine Gnadengabe) richtet, nicht auf die Gemeinde.

Im griechischen Text fehlt das Verb im ersten Satz (Ellipse), es kann mit „ist“ oder „sei“ ergänzt werden. Die erste Variante ist für Paulus üblicher. Sprachlich interessant ist auch die Frage, ob Paulus meint: „Der Gott und Vater Jesu Christi“ oder „Gott, der Vater Jesu Christi“. Im ersten Fall wäre deutlicher zwischen Gott uns Jesus Christus unterschieden als im zweiten. Sprachlich ist Ersteres wahrscheinlicher, sachlich im Blick auch auf andere Paulusbriefe eher die zweite Variante. Es lässt sich nicht abschließend und eindeutig klären.

„Vater des Erbarmens“ und „Gott allen Trostes“ ergänzen sich und legen sich m. E. gegenseitig aus, eine Priorität dürfte ebenso wenig gegeben sein wie im ersten Satzteil.[4]

Der wichtige Begriff παρακλήσις (paraklésis) taucht im 2Kor sehr häufig auf, ist aber nicht ganz einfach zu übersetzen, da er eine große Bedeutungsvielfalt mitbringt, vom ursprünglichen „Herbeirufen“ über die „Bitte“ und den „Trost“ bis hin zur „Ermahnung“. Der Trost dürfte aus inhaltlichen Gründen („Ertragen von Leidenssituationen“[5]) die passendste Übersetzung sein. Das Trostmotiv erinnert an Deuterojesaja (Jes 40,1).

4.2      Vers 4: Trost in Bedrängnis

Der Vers enthält allein viermal das Wort „Trost“, das ein Leitthema des ganzen Briefes zu sein scheint. Es steht hier als Gegenpol zur Bedrängnis (θλίπσις), die durch den Zusatz von „alle“ (πᾶς) sehr vielfältig verstanden scheint, d. h. sich auf sehr verschiedene Bedrängniserfahrungen richten kann. Allerdings ist fraglich, wer das „uns“/“wir“ im Text ist, das immer wieder auftaucht und öfter mit einem „ich“ wechselt. Dass mehrere Autoren gemeint sind, ist unwahrscheinlich, da Paulus sich als den maßgeblichen Autor des Briefes versteht (vgl. 2Kor 9,1; 13,10). Es können verschiedene andere Möglichkeiten diskutiert werden, eine eindeutige Antwort darauf, wer das „wir“ ist, muss offen bleiben. Am sympathischsten erscheint mir der Vorschlag von Thomas Schmeller, das „wir“ als ein Angebot an die Leser*innen zu verstehen, sich selbst damit zu identifizieren und in den Aussagen Beispielhaftes für das christliche Leben abzuleiten. Wohlgemerkt: ein Angebot, kein Gebot. Paulus versucht so womöglich, die Gemeinschaft zwischen ihm und den Korinther*innen zu vertiefen. Es ist also durchaus sachgemäß, wenn die Gute Nachricht Bibel die Wir-Passagen durch Ich-Aussagen ersetzt.

Interessant an dem Vers ist, dass Paulus seine Trostaufgabe daran bindet, dass er diese Trosterfahrung selbst gemacht hat. Der Theologe Friedrich Schleiermacher beansprucht das Gleiche in einer Predigt über diesen Text, wenn er über die Frage sagt, ob er seinen Pfarrdienst irgendwann weniger ernst nehmen könnte: „Nein m[ein] Fr[eund], das wird Gott verhüten! nein, das kann nicht geschehen, denn ich bin selbst erfüllet mit dem Trost, damit ich euch trösten soll, ich bin selbst durchdrungen von den Wahrheiten, die ich verkündige, selbst von ganzem Herzen dem Gesez unterthan, welches ich euch vorlege, und ich fühle es gut innig, welch ein köstlich Kleinod Gott demjenigen anvertraut hat, dem er ein Lehramt gegeben“[6].

4.3      Vers 5: Das Leiden und Trösten Christi

Vers 5 ist ein kunstvoll gestalteter Text, der das Überschütten, Leiden und Trost parallel zueinander stellt. Das, was Christus erlitten hat, kommt auch über Paulus bzw. das literarische „Wir“. Was genau damit gemeint ist, bleibt offen. Im Hintergrund steht m. E. der Kontrast von Kreuz und Auferweckung (V. 9!) Jesu. Trifft das zu, hängt die Deutung dieser Stelle unmittelbar damit zusammen, wie man Tod und Auferweckung Jesu versteht – immer in ihrem Bezug auf das Leben der einzelnen Christ*innen, denn es geht um das Leiden und Trösten Christi, das Paulus erfährt und mit dem sich die Leser*innen identifizieren können („wir“). Es geht hier um einen grundsätzlichen Zusammenhang von Leid und Trost, der in dieser Grundsätzlichkeit allen gilt.

4.4      Vers 6: Paulus’ Leiden und Trösten

Der folgende Vers geht darüber einen Schritt hinaus und verweist auf die besondere Stellung des Paulus, nicht nur als Apostel (vgl. 2Kor 1,1), sondern als Leidender. Was er erleidet, kommt der Gemeinde zum Trost zugute. Allerdings werden die Adressat*innen im Schlussteil des Verses wieder mit hineingenommen: „für dieselben Leiden, die auch wir erleiden.“ Egal, wie man das „wir“ versteht, werden hier die Leiden des Paulus und die Leiden der Gemeinde parallel nebeneinander gestellt. Paulus sieht seine Leiden nicht exklusiv, als wäre nur er ein Leidender. Exklusiv – oder zumindest beispielhaft – scheint er vor allem seinen Umgang damit darzustellen.

Die Übersetzung „wirksam in einer Geduld“ ist bereits Interpretation. Ebenso denkbar wäre, dass die Geduld als Ursache und Grund für den Trost verstanden wird. Weil man geduldig ist, erfährt man Trost (wenn das Leid endet). Die andere Variante erscheint mir aber (theologisch und vom Kontext her) angemessener: durch den Trost wird man geduldig, das Leiden zu ertragen. Die „Rettung“ bezieht sich dann eher auf darauf, aus der Hoffnungslosigkeit der Leidenssituation befreit zu werden, als aus dem Leiden selbst.

4.5      Vers 7: Hoffnung auf Trost

Die Hoffnung aus V. 7 verweist vermutlich auf V. 13 und den Konflikt zwischen Paulus und der Gemeinde in Korinth. Sie hat dann den Wunsch zum Inhalt, dass Paulus als Apostel (und mit ihm seine Botschaft!) bei den Korinthern anerkannt wird. Die erneute Nennung von Trost und Leiden bezeichnet dann nicht die Hoffnung auf diese Erfahrung, sondern die Hoffnung aufgrund dieser Erfahrung. Weil die Botschaft des Paulus bei den Korinthern erfahren wird und sich so als wahr erweist, ist die Hoffnung begründet, dass die Gemeinschaft zwischen Paulus und der Gemeinde wieder gestärkt wird. Es ist die Kraft der Botschaft selbst, die Kraft des auferweckten Christus, die Paulus zuversichtlich macht.

5        Einzelauslegung 2Kor 1,8–11

5.1      Vers 8: Der Erfahrungsgrund

Der Beginn von V. 8 deutet auf einen gedanklichen Neueinsatz hin. Was Paulus hier schreibt, dürfte nicht komplett unbekannt gewesen sein, sondern wird „sowohl in seiner Bedeutung für Paulus wie auch in seiner theologischen Relevanz näher erklärt“[7]. Die Region Asia war seit 133 v. Chr. eine römische Provinz mit Ephesus als Hauptstadt.

Worum es allerdings inhaltlich bei der Bedrängnis geht, ist unklar.[8] Entweder geht es um die Begebenheit von Apg 19,23–40 – dann hätte Lukas dort aber sehr untertrieben geschildert. Oder es geht um einen möglichen Gefängnisaufenthalt des Paulus in Ephesus, während dem die Briefe Phil und Phlm entstanden sein könnten. Die dritte Option ist eine chronische Krankheit des Paulus. Auch hier gilt: eine endgültige Entscheidung ist schwierig bis unmöglich – Schmeller hält die letzten beiden für wahrscheinlich.

Die übetrieben wirkenden Formulierungen im Vers („über alle Maßen – über das Vermögen“) deuten aus meiner Sicht schon auf die folgenden beiden Verse und markieren den Kontrast zwischen eigenem Tun und widerfahrener Rettung.

5.2      Vers 9: Unerwartet

Dieser Kontrast tritt nun in V. 9 deutlich hervor und wird mit den Motiven Tod und Auferweckung ins kaum mehr Überbietbare gesteigert. Worum es sich bei dem Todesurteil handelt, kann wiederum nicht entschieden werden. Interessant ist, dass Paulus den Vers mit der Betonung einer inneren (gedanklichen, emotionalen, …) Angelegenheit einleitet. Es geht also nicht so sehr um die äußeren Umstände, sondern die innere Verfassung und den Umgang mit der Situation. Das Todesurteil beschreibt „die subjektive Gewissheit des Paulus von der Unausweichlichkeit des Todes“[9]. Dies bringt ihn – weil es offenbar keine Alternative gibt – letztlich dazu, allein vom auferweckenden Gott Rettung zu erhoffen.

5.3      Vers 10: Erfahrung und Erwartung

Ein Gedanke zum „damit“ leitet in V. 10 über: Die Deutung aus V. 9 kann Paulus freilich nur bieten, weil in V. 10 von der Rettungserfahrung die Rede ist. Erst nachträglich kann das erfahrene Leid als göttliche Fügung anerkannt werden; zumal von V. 3 her Gott als Vater des Erbarmens und Gott des Trostes vorgestellt wird. Erst durch die Rettung kann sich erfahrene Wirklichkeit im Nachhinein als ein erkennbares Wirken Gottes erweisen. Jede voreilige Identifizierung steht in der Gefahr eines theologischen Kurzschlusses und kann zu theologisch weitreichenden Konsequenzen führen (etwa einem dem Christuszeugnis unangemessenen Gottesbild). Das „Wozu?“ ist für Paulus schon aus der Erfahrung klar, als er dem Leid einen Sinn zumisst.

Nicht leicht zu erklären ist die Dopplung der Rettungshoffnung. Mir scheint der erste Teilvers auf einen bestimmten Zeitraum zu reflektieren, möglicherweise auf konkrete Erfahrungen: Paulus hat bereits solche Rettung erfahren und hofft, sie in der gegenwärtigen Situation ebenso zu erfahren. Wenn es sich vor allem um einen inneren Vorgang handelt, scheint mir auch die Deutung möglich, dass Vergangenheit und Zukunft hier auf die Beständigkeit der neu geschenkten Situation (ein bestimmter Umgang mit dem Leiden) zielen. Der zweite Teilvers ist dann der erweiterte Ausblick: Der Gott, der Paulus die Geduld (V. 6) zum Aushalten im Moment schenkt, wird dies immer wieder tun, weil es Gottes Wesen entspricht (V. 3!).

5.4      Vers 11: Bitte und Dank

Schon sprachlich kommt nun die Briefeinleitung zu ihrem Ende – meine Übersetzung versucht, die schwierige Textstruktur abzubilden. Die Hilfe durch Fürbitte ließe sich grammatikalisch an das Vorhergehende anschließen, etwa durch „… wird retten, wenn/obwohl/weil/nachdem/indem/damit auch ihr uns helft …“. Eine Auflösung ist nur mit einer weitreichenden (gebets-) theologischen Entscheidung möglich. Mir scheint ein absolutes Verständnis ohne logischen Satzanschluss die offenste (freilich auch: die einfachste) Variante.

Es stehen sich zwei Gebetsweisen gegenüber: Bitte und Dank. Vereinfacht man den Satz, entsteht: „bittet … damit … Dank gesagt wird“. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, ist gebetstheologisch äußerst aufschlussreich und plausibel: Die an Gott gerichtete Bitte führt dazu, Rettungserfahrungen wiederum Dankbar als Wirken Gottes zu erfahren und anzunehmen. Die Bitte öffnet die Wahrnehmung der Beter*innen dafür, die folgenden Ereignisse als ein Wirken Gottes einzuordnen. Konkret: Tritt das Erbetene ein, ist die religiös angemessene Reaktion der Dank (vgl. meinen ersten Absatz zu V. 10), und je mehr Menschen bitte, umso mehr werden auch danken. Was Paulus hier allerdings ausblendet, ist die Möglichkeit, dass das Erbetene gerade nicht eintritt. Die religiös angemessene Reaktion darauf wäre die Klage. Das Gebet ist als immer dynamischer Kreislauf aus Bitte, Klage und Dank zu verstehen, der für eine Wahrnehmung des Wirkens Gottes öffnet und zugleich Reaktionsmöglichkeiten parat hält.[10]

 

6        Literatur

Schmeller, Thomas, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament (EKK) / Der zweite Brief an die Korinther: EKK VII/1 (2 Kor 1,1-7,4), Neukirchen-Vluyn 2010.

Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 62007 (11994).

 

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007, 91–127.

[2] Die Gute Nachricht Bibel unterstreicht das, indem sie das „Wir“ an vielen Stellen bewusst durch ein „Ich“ ersetzt.

[3] Ob beide Teile zusammengehören, wird unter den Exeget*innen diskutiert und ist nicht abschließend zu klären. Mir scheint auf den ersten Blick für die Predigt das Erfahrungspotenzial der V. 8–11 zu ertragreich, als dass man es ausschließen sollte. Die exegetische Frage ist damit freilich nicht geklärt.

[4] Anders Schmeller, der den Trost als Konkretisierung des Erbarmens versteht.

[5] Schmeller, 58.

[6] Zitiert nach Schmeller, 63.

[7] Schmeller, 68.

[8] Vgl. im Folgenden Schmeller, 69f.

[9] Schmeller, 71.

[10] Diese grobe Skizze meines Gebetsverständnisses müsste natürlich weiter ausbuchstabiert und breiter entfaltet werden. Ich deute das hier nur an.

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