… selbstlos genug

Diese Predigt vom 12.05.2013 war Teil einer Predigtreihe, die ich gemeinsam mit meinem betreuenden Pastor im Praktikum in der FeG Cuxhaven durchgeführt habe. Es ging um die sieben „Ich bin“-Worte von Jesus. In der hier veröffentlichten zweiten von zwei meiner Predigten geht es um den „Hirten“, in der schon veröffentlichten ersten um die „Tür“. Ich freue mich über (gern auch kritisches) Feedback und Diskussion!

Predigttext (variierte GNB) & Einleitung

11   Ich bin der gute Hirte. Ein guter Hirte ist bereit, sein Leben für seine Schafe herzugeben.     12 Einer, dem die Schafe nicht selbst gehören, ist kein richtiger Hirte. Darum lässt er sie im Stich, wenn er den Wolf kommen sieht, und läuft davon. Dann stürzt sich der Wolf auf die Schafe und jagt die Herde auseinander.  13 Wer die Schafe nur gegen Lohn hütet, läuft davon; denn die Schafe sind ihm gleichgültig.

14   Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe und sie kennen mich,  15 so wie der Vater mich kennt und ich ihn kenne. Ich bin bereit, für sie zu sterben.     16 Ich habe noch andere Schafe, die nicht zu diesem Schafstall gehören; auch die muss ich herbeibringen. Sie werden auf meine Stimme hören, und alle werden in einer Herde unter einem Hirten vereint sein.

Mit Hirten haben wir heutzutage relativ wenig zu tun. Das zeigt schon ein Blick in die trockene Statistik: 2011 gab es in Deutschland 7340 Hirten und Menschen in ähnlichen Berufen. Demgegenüber stehen zum Beispiel fast 530000 Bankfachleute. Mir würde es daher gut gefallen, wenn Jesus hier nicht vom Hirten sprechen würde, sondern von Unternehmern, von Politikern, von Familien – eben von Menschen, denen ich täglich über den Weg laufe. Wir werden das heute einmal mutig ersetzen und versuchen, an den Kern der Aussage zu kommen. Fragen wir also einmal, was Jesus mit diesem Bild eigentlich sagen will, denn er macht hier höchstwahrscheinlich ja keine Aussage über seine berufliche Qualifikation als Tierwirt der Fachrichtung Schäferei. Der Text teilt sich durch das doppelte „Ich bin“ schon selbst in zwei Abschnitte, die ich auch für die Predigt übernehme.

Ich bin … kein angestellter Hirte! (11–14)

Jesus spricht in unserem Text nicht einfach von einem normalen Hirten. Er spricht von sich als dem guten Hirten und beginnt im ersten Abschnitt mit einem Negativbeispiel, um zu beschreiben, was das „gut“ eigentlich meint: Er ist nicht nur ein Angestellter, dem die Schafe nicht gehören. Er ist keiner, der in erster Linie für seinen eigenen Lebensunterhalt arbeitet und dem es letztlich relativ egal sein kann, was mit den Schafen passiert. Von einem Angestellten wird man wohl nicht erwarten, dass er freiwillig sein Leben riskiert, um das Schaf eines Fremden zu retten. Ich würde nicht einmal vom Besitzer der Schafe verlangen, sein Leben für eines dieser Tierchen aufs Spiel zu setzen. Dafür fehlt mir leider die Vorstellung für den Wert eines solchen Nutztieres. Ich kaufe Tierprodukte heute meistens z.B. fertig filetiert und eingeschweißt aus dem Kühlregal. Mit dem Tier selbst habe ich wenig zu tun. Mir würde das Beispiel von Jesus näher gehen, wenn ich mir die Aussage mal umformulieren könnte. Hätte er nicht vielleicht auch sagen können:

„Ich bin der gute Unternehmer.“ Gute Unternehmerinnen und Unternehmer sind bereit, ihren Gewinn für ihre Mitarbeiter herzugeben. — Ich hatte in meinem Job als Mediengestalter in dieser Hinsicht wirklich gute Unternehmer als Chefs und sehe auch viele gute Beispiele in der Wirtschaft. Und dennoch sehne ich mich nach einem „Johannes-10-Standard“ in der Wirtschaft, wenn ich daran denke, zu welchem Verhungerlohn und unter welchen Bedingungen die Klamotten vielleicht produziert wurden, die ich gerade trage. Aber wir brauchen noch nicht einmal so weit weg schauen – die Diskussion um Niedriglöhne in Deutschland macht uns ebenso deutlich, dass das Problem auch hier besteht. Ich wünsche mir gute Unternehmer, die bereit sind, ihren Gewinn zugunsten ihrer Mitarbeiter und deren Familien (vielleicht auch der eigenen Familien) herzugeben.

„Ich bin der gute Politiker.“ Gute Politikerinnnen und Politiker sind bereit, ihre Macht für die Bürger ihres Landes einzusetzen. — Das mag jetzt sehr nach einer Stammtischparole klingen und vielleicht habe ich auch schlicht zu wenig Ahnung von der Materie, aber bei manch politischer Diskussion muss ich mich doch gerade im Jahr der Bundestagswahlen schon wundern, worum es tatsächlich zu gehen scheint: Um die nächste Wahl, die Umfragewerte, um die persönlichen Skandale und Skandälchen von Personen, um parteipolitische Scharmützel. Dass man auch mal ernsthaft über die – oder besser noch: mit den Menschen reden sollte, die man da regiert, geht häufig unter (zumindest kann es einem so vorkommen). Dabei geht es doch um die Menschen. Was nützt eine ausgehandelte Steuerpolitik, wenn sie den Menschen nicht nützt? Was haben wir von einer Herrschaft des Volkes, wenn die Menschen des Volkes nicht in der Herrschaft vorkommen? Ich wünsche mir gute Politiker, die bereit sind, abseits machtpolitischer Interessen Ihren Einfluss für das Wohl der Menschen in ihrem Land, ihrem Kreis oder ihrer Stadt herzugeben.

„Ich bin der gute Vater.“ Gute Elterm sind bereit, alles für ihre Kinder herzugeben. Was Eltern an Geld, Zeit, Schlaf und Nerven in ihre Kinder investieren mag inhaltlich wohl am ehesten dem Einsatz nahekommen, von dem Jesus in seiner Metapher spricht. In diesen Beziehungen in der Familie scheint der Einsatz – zumindest theoretisch – leichter, vielleicht sogar im Hinblick auf das eigene Leben. Dieser Beziehung in der engsten Familie kann ich noch am ehesten nachempfinden, dass man bereit ist, alles für jemanden herzugeben. Auch wenn wir leider immer wieder erschreckende Negativbeispiele mitbekommen – diese Familienmetapher ist mir näher, als so ein Schaf. Das ist mir auch näher, als so ein Hirte.

Und doch spricht Jesus in seiner Rede ausgerechnet von Schaf und Hirte. Tatsächlich kommt darin auch mehr zum Ausdruck, als ich dachte. Denn in der Beziehung vom Schaf zum Hirten kommen für mich zwei wichtige Dinge zusammen: Nähe und Distanz – und zwar bei Jesus als Nähe trotz Distanz. Was er hier als Negativbeispiel beschreibt, ist Distanz ohne Nähe. Jemand, der nur für den Lohn und nicht für die Schafe arbeitet, ist weit weg von ihnen. Da gibt es keine „emotionale“ oder sonstige Bindung. Doch das macht diesen Ausspruch von Jesus für mich so stark: Der Hirte aus Johannes 10 stirbt nicht freiwillig für seine menschlichen Mitarbeiter, für seine Bürger, nicht für seine Freunde und auch nicht für seine Familienmitglieder, sondern für seine Schafe. Auch wenn das eine neuzeitlich geprägte Sicht ist und bei allem Respekt vor der Würde des Tieres – aber das Schaf ist letztlich doch nur des Schäfers Rohstoff.

Der Hirte aus Johannes 10 überwindet diese professionelle Distanz. Sein Einsatz für die Tiere hört auch da nicht auf, wo der einfache Angestellte sich längst (vielleicht auch völlig zurecht!?) aus der Verantwortung gezogen hat. Das zeichnet ihn als den guten Hirten aus. Er nimmt seine Verantwortung bis zur Selbstaufgabe wahr. Was für eine überfließende Liebe muss dieser Hirte haben, dass er bereit ist, sogar für seine Tiere zu sterben. Wie wenig denkt dieser Hirte an sich selbst, obwohl er doch ganz offensichtlich so viel wichtiger ist als ein kleines Schaf. Wer so handelt, der ist kein Angestellter, der für das eigene Gehalt arbeitet, sondern ein guter Hirte, der für die Schafe arbeitet. Jesus denkt nicht an sich selbst, sondern allein an das Wohl seiner Schafe. Gott ist unser Wohl wichtiger als sein eigenes! Er ist wirklich selbstlos genug.

Soviel zum ersten Teil des Textes, der uns vor Augen führt, was den guten Hirten ausmacht. Der zweite Teil eröffnet uns nun eine noch weitere Perspektive auf den Hirten Jesus.

Ich bin … der universale Hirte! (14–16)

14   Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe und sie kennen mich,  15 so wie der Vater mich kennt und ich ihn kenne. Ich bin bereit, für sie zu sterben.     16 Ich habe noch andere Schafe, die nicht zu diesem Schafstall gehören; auch die muss ich herbeibringen. Sie werden auf meine Stimme hören, und alle werden in einer Herde unter einem Hirten vereint sein.

Der Duden gibt für das Wort „universal“ zwei Bedeutungen an, die wunderbar zu diesem zweiten Abschnitt passen.

Erste Bedeutung:
„umfassend, die verschiedensten Bereiche einschließend“ (14f)

Vielleicht erinnert ihr euch noch an meine letzte Predigt zu den Versen aus Johannes 10, die direkt vor den heutigen Predigtversen stehen. Da sagte Jesus: „Ich bin die Tür“ und ich hatte das so ausgelegt, dass Jesus den Bereich Gottes mit dem Bereich der Welt verbindet, also quasi diese beiden verschiedenen Bereiche in sich einschließt. Etwas ähnliches gilt auch für die Verse 14+15. Was Jesus hier damit meint, dass er den Vater „kennt“, ist nicht nur ein einfaches „Achja, den kenne ich. Ich weiß, wer das ist.“ Hier geht es darum, dass man weiß, wie der andere tickt. Jesus kennt seinen Vater, weil er ihn liebt und umfassend in seinem Sinn handelt – er tut das, was sein Vater tun würde, weil er ihn kennt und daher weiß, was das bedeutet. Jesus kennt aber auch uns – seine Schafe – und weiß, was wir brauchen: Liebe, Zuwendung, Rettung. Deshalb wirft er sich selbst vor den angreifenden Wolf und lässt sich selbst zerfleischen, damit die Schafe Leben können. Haben wir ihn so erkannt? Kennen wir unseren Hirten Jesus als den, der völlig selbstlos sein Leben für den Fremden gibt? Paulus bringt das im Römerbrief auf den Punkt:

Wie sehr Gott uns liebt, beweist er uns damit, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder (=Fremde) waren. Römer 5,8

Den anderen zu kennen heißt mit unserem Text, das zu tun, was der andere tun würde. Nicht weil er mir das befiehlt! Nicht weil ich es tun müsste! Sondern weil ich den anderen kenne und er mich überzeugt. Weil ich Jesus kenne und weiß, dass er nur das Beste für mich will. Weil er sich völlig selbstlos dem Wolf entgegenstellt, um seine wehrlosen Schäfchen zu retten. So verbindet sich in Jesus unser Bereich mit dem Bereich Gottes, weil Jesus für uns das tut, was Gott für uns im Sinn hat. So ist er. Selbstlos genug.

Zweite Bedeutung:
„die ganze Welt umfassend, weltweit“ (16)

Das Bild vom Schafstall hat einen Schwachpunkt, den Jesus selbst in Vers 16 aufdeckt: Der Schafstall ist begrenzt. Aber weil Jesus der universale Hirte ist, begrenzt sich seine Verantwortlichkeit nicht nur auf eine eingeschränkte (schon gar nicht auf eine vorsortierte!) Anzahl von Schafen. Die Herde ist auf Vergrößerung hin angelegt. Damit ist nicht die natürliche Bestandsicherung durch Fortpflanzung gemeint, sondern Vergrößerung von außen. Es sollen Schafe dazu kommen. Es sollen Menschen von außen zur Gemeinde von Jesus – auch hier in Cuxhaven – dazukommen! Sie sollen ihn kennenlernen. So wie wir es gerade in den Versen 14+15 gesehen haben. Menschen sollen nicht überredet und einfach mit allen möglichen Informationen überschüttet werden, sondern sein Anliegen verstehen. Gottes Anliegen für die Welt verstehen. Und wie könnte das besser gelingen, als wenn wir das in die Tat umsetzen? Wie könnte das besser geschehen, als dass wir in Übereinstimmung mit demjenigen handeln, dem wir vertrauen und von dem wir behaupten, ihn wirklich zu kennen? Was ist überzeugender, als mich – weil und so wie Gott es für mich tut – selbstlos und ohne Hintergedanken für jemanden einzusetzen? Nicht auf einen Befehl hin, sondern weil für mich schon längst und reichlich gesorgt ist!

Schluss

Ich will zum Schluss noch einmal das wichtigste zusammenfassen: Jesus ist kein normaler angestellter Hirte. Denn er flieht nicht, wenn es brenzlich wird, sondern tritt völlig selbstlos für seine Schafe ein und ist sogar bereit, sein Leben für andere herzugeben. Das zeichnet ihn als guten Hirten aus. Er ist der universale Hirte, der in Übereinstimmung mit Gott für die Welt handelt und an dem wir Gottes selbstlose Liebe zur Welt sehen können, die nicht auf eine begrenzte Anzahl beschränkt ist, sondern universal gilt. Er ist unser Hirte, der sich ohne Vorbehalte für uns einsetzt. Er ist für uns wirklich … selbstlos genug. Amen.

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