Barth, Hans-Martin – Konfessionslos glücklich

Der Titel des Buches (Amazon.de-Partnerlink) verwirrt ein wenig und könnte suggerieren, dass Barth (emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Universität Marburg) das Christentum – zumindest in seiner traditionellen Form – überwinden wolle. Es sei vorweggenommen: So wie ich ihn verstehe, möchte er das nicht. Vielmehr geht es ihm darum, für die Wahrnehmung des heute immer offensichtlicher werdenden Phänomens der Areligiosität zu sensibilisieren. Und nicht nur das, sondern er fragt nach Möglichkeiten des Christentums, eine Kirche bzw. Christsein zu gestalten, das für Menschen ansprechend ist/wird, die sich selbst als areligiös verstehen.

Ein wie ich finde sehr persönliches und aussagekräftiges Zitat mag fast genügen, um Barths Intention zu beschreiben:

„Ich möchte zu verstehen lernen, wieso etwas, das mir elementar wichtig ist, so viele Menschen völlig kalt lässt.“ (S. 15)

Das geschieht in zwei Schritten: Es geht Barth zunächst darum, das Phänomen „Areligiosität“ überhaupt zu verstehen. Es gibt Menschen, die ohne Religion leben. Das ist nicht nur ein Phänomen der ehemaligen DDR, sondern eine Entwicklung. Menschen kommen gut ohne Kirche zurecht.

Barth arbeitet sich in einem ersten Teil zunächst durch die schon sprachlich gegebenen Problemfelder, die mit Begriffen wie Religion/Areligiosität, Konfession/Konfessionsfreiheit und deren Derivaten zusammenhängen. Was ist Religion? Was sind Konfessionslose? Was Konfessionsfreie? Die hilfreichen Definitionsversuche müssen hier nicht referiert werden. Barth fragt dann – sehr überblicksartig und fachkundig – durch verschiedene Disziplinen (etwa Philosophie, Soziologie, Psychologie) hindurch danach, ob man ein religiöses „a priori“ (eine religiöse Anlage in jedem Menschen) annehmen kann – und verneint dies letztlich, oder genauer gesagt: er muss es offen lassen. Statt der einzelnen Ergebnisse sei hier sein Fazit zitiert:

„Mustert man die empirisch orientierten Ansätze durch, so zeigt sich: Weder psychosomatische noch an Evolution und Religionsgeschichte gewonnene Gesichtspunkte, weder Religionspsychologie noch Soziologie können wahrscheinlich machen oder gar nachweisen, dass Religion und Religiosität konstitutiv zum Menschsein gehören.“ (S. 113)

Manche Menschen mögen religiöse Veranlagungen zeigen, andere nicht. Beides scheint möglich, wenn auch die recht grobe Darstellung dazu verleitet, das erarbeitete Ergebnis als bereits vorher vorausgesetzt zu vermuten. Einleuchten kann es dennoch. Das ist Barths analysierte Ausgangs- und Problemlage: Religion und – so will ich es einmal nennen – religiöse Kompetenz können nicht vorausgesetzt werden. Will die Kirche aber auch areligiöse Menschen mit dem Evangelium erreichen, muss sie diesen Menschen anders begegnen.

Im zweiten Teil beschäftigt Barth sich daher intensiv mit einer (unter anderem durch Bonhoeffer angeregten) nichtreligiösen Interpretation des Christentums. Das bedeutet, die Inhalte des christlichen Glaubens auf eine Weise zu vermitteln, die ohne religiösen Ballast (immer aus der Perspektive areligiöser Menschen gedacht!) auskommt. Wie muss etwa der Satz „Gott sandte seinen Sohn“ (das Beispiel übernimmt Barth von Paul Tillich) übersetzt werden, damit ihn jemand versteht, die oder der mit den enthaltenen religiös-metaphorischen Elementen nichts anfangen kann und will?

Der Frage geht Barth in mehreren Schritten nach, die hier nicht weiter zur Darstellung kommen müssen. Interessant sind etwa nicht-religiöse Übersetzungsbeispiele zum Unser-Vater-Gebet. Statt „Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name …“ schlägt Barth vor:

„In dem Vertrauen, das sich uns durch Jesus aus Nazareth und seinen guten Geist vermittelt, sind wir gewiss, dass unsere Sehnsucht in Erfüllung geht:
Geehrt, gewürdigt und geschützt werde das Geheimnis des Daseins, die Quelle aller Energie und Orientierung für ein frohes, heiles, sinnhaftes Leben.
Tatkraft und Engagement für eine bessere Welt werden wachsen und sich durchsetzen.
Was dazu geschehen muss, soll geschehen, so weit möglich, auch mit unserer Hilfe.
Wir hungern nach Leben. Dankbar für alles, was uns täglich zuteil wird, sind wir bereit, davon weiterzugeben.
Wir leben davon, angenommen zu sein und an unserem Versagen nicht scheitern zu müssen. Unsere Schuld wird uns vergeben sein, wie auch wir uns verpflichtet sehen, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind.
Wir vertrauen darauf, in den Herausforderungen des Lebens nicht unterzugehen.
Von dem Bösen in uns und um uns werden wir frei werden; daher können wir ihm Widerstand leisten.
Vertrauen, Lieben und Hoffen, wie es an Jesus sich zeigt, ist eine Kraft, die wir spüren können. Sie macht uns gewiss, dass am Ende alles gut sein wird.
Ja!“ (S. 172f)

Das mag ungewöhnlich klingen, aber es kann ein großer Gewinn sein, sich einmal darauf einzulassen … oder es vielleicht sogar selbst zu versuchen.

Auch insbesondere die Fragen nach dem Zusammenhang von Kirchenmitgliedschaft und Sakramenten lohnen ein Nachdenken – zumal manches (wie etwa neu gestaltete Mitgliedschaftsprinzipien in Gemeindegründungsinitiativen) bereits aus der Praxis bekannt ist. Hier ruft Barth zu einem Um- und Neudenken auf, um kirchlich institutionalisiertes Christentum für nicht-religiöse Menschen anschlussfähig zu machen und fordert eine „Entkonditionalisierung“ für die Zugehörigkeit zu Gemeinde – es geht ihm darum, (religiöse) Barrieren abzubauen, damit auch nicht-religiöse Menschen einen Zugang zum Gehalt des Evangeliums und der christlichen Gemeinschaft gewinnen können.

Barths Plädoyer macht auf manches aufmerksam, sei es eine angemessene theologische Hermeneutik als Grundlage für jede Übersetzungsleistungs des Evangeliums („Weder eine religiöse noch eine nichtreligiöse Sprache wird dem Evangelium gerecht. Gott ist größer!“ S. 174) überhaupt, eine sensible Wahrnehmung für die Umwelt der Kirche oder nicht zuletzt auf die jede positive Religion übersteigende Größe des Geheimnisses, das wir Gott nennen. Nicht umsonst und sehr zu Recht schließt das Buch:

„Gottes Plan mit der Menschheit ist nicht auf die Geschichte der institutionalisierten Kirchen beschränkt. Gott sei Dank!“ (S. 235)

Das ist eine befreiende Herausforderung an jede institutionalisierte Form von christlichem Glauben und für die Menschen, die sich – zum Wohl der Menschen – in sie einbringen, und zwar um der Botschaft, nicht um der Institution willen.

Sicher mag mancher Gedanke Barths traditionelle Denkweisen irritieren, aber ich denke, diese Irritation ist zuweilen dringend notwendig auf dem Weg zu einer Kirche, die ihre Botschaft nicht nur für „religiös Sprachbegabte“, sondern eben auch für die „religiös Unmusikalischen“ (Max Weber) überzeugend zur Sprache, oder besser: ins Leben bringen möchte. Und nicht nur dazu, sondern auch um sich der Bedeutungsgehalte des christlichen Botschaft immer wieder selbst bewusst zu werden! Daher sei das Buch ausdrücklich gerade jenen empfohlen, die aus und in der kirchlichen Praxis um die angerissenen Fragen ringen!

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