Freundschaften im Fluss.

Jeder kennt sie. Geschichten von echter, von wahrer Freundschaft. Vor kurzem hat noch ein französischer Film unsere Herzen höher schlagen lassen als diese ungleichen Männer ziemliche beste Freunde wurden. Eine tolle Geschichte. Oder erinnern wir uns an andere Helden der Freundschaft. Was wäre Maja ohne Willi, Dick ohne Doof, die Maus ohne den Elefanten. Sie alle verkörpern das Ideal Freundschaften zu leben, die unerschütterlich sind. Eigentlich eine schöne Sache.

Doch die Realität zeichnet das Bild von Freundschaft oft ganz anders als die Fernsehanstalten dieser Welt. Da definieren mittlerweile die sozialen Netzwerke was Freundschaft bedeutet: Der Freund ist nur einen Klick entfernt, er wird uns sogar vorgeschlagen. Kürzlich wurde ich noch in einem Vorstellungsgespräch gefragt, wie das so sei mit 1113 Facebook-Freunden. Von wahrer Freundschaft kann dabei doch keine Rede sein. Es sind Menschen die man kennt, mal gesehen hat oder gerne mal sehen möchte.

Doch nicht nur die digitalen sozialen Netzwerke verdeutlichen den Unterschied zwischen der Film-Freundschaft und der Realität. Auch die analogen Freundschaften tun dies. Mein Anspruch ein „guter Freund“ zu sein, scheitert oft schon bei dem Versuch mich mal wieder bei meinem Kumpel zu melden und zu fragen, wie es ihm geht. Ich bin der nicht der Freund, der ich sein möchte oder der ich sein kann. Der Anspruch einer guten Freundschaft ist manchmal zu hoch.

Blicken wir in die Phasen unseres Lebens, merken wir auch, dass Freundschaft nicht immer dasselbe bedeutet. Während es im Sandkasten nicht so sehr darauf ankommt, wie mein Spielpartner drauf ist sondern eher ob er mir beim Spielen ständig das Förmchen klaut oder nicht, sind für Teenager-Mädels ihre Freundinnen ständige Gesprächspartnerinnen, wenn es um Jungs, Eltern und Schule geht. Haben wir irgendwann die Schule hinter uns gebracht, träumen wir mit unseren Freunden, was wir eines Tages erreichen wollen, wo und was wir studieren und wie wir die Welt retten. Man sieht sich noch relativ häufig, geht Bionade und Bier trinken oder fährt mit den Jungs nach Holland. Irgendwann steht vielleicht eine Hochzeit an, bekommt Kinder. Manche Freundschaften von damals bleiben bestehen. Manche nicht. Neue entwickeln sich. Man geht zusammen aus, besucht eine Eltern-Kind-Gruppe oder lernt sich über einen Sportverein kennen. Für einige haben Freundschaften nun nicht mehr den Stellenwert wie damals. Es dreht sich vieles um die Familie. Vielleicht stellt sich schon Enttäuschung darüber ein, dass man keinen Kontakt mehr mit Leuten hat, mit denen man sich vorgenommen hat, ewig diesen zu halten. Man erzählt seinen Kindern und Partnern von Leuten, die sie nicht mehr kennen, aber einen wichtigen Teil im Leben gespielt haben. Im Alter trifft man sich manchmal mit den Leuten von damals. Alte Geschichten werden ausgekramt. Vergangenheitsbewältigung und Gegenwartsbereicherung.

Freundschaften sind also im Fluss. Wir können sie nicht erzwingen, wir können sie nicht machen. Und doch merken wir in jeder Phase unseres Lebens, wie wir darauf angewiesen sind. Keiner will alleine im Sandkasten spielen. Niemand möchte nur alleine mit seinen Problemen fertig werden und die Geschichten, die man mit seinen Freunden erlebt hat, machen das Leben doch schöner.

Doch ist nun Freundschaft nur ein Anspruch, den man nicht erfüllt oder ein Ideal, das man nicht erreicht? Ich denke nein. Freundschaft ist nicht etwas, das man einmal erreicht, womit man fertig sein könnte. So ist auch das Leben nicht.

Auf der Flussfahrt unseres Lebens rudern wir mal mit vielen guten Freunden im Boot, mal nebeneinander her. Wir legen zusammen am Ufer an und genießen die Zeit am Wasser. Doch die Strömung eines Flusses reißt nun normalerweise nicht ab. Das Leben geht weiter. Einige begleiten uns von der Quelle bis zur Mündung. Andere helfen uns durch manche Stromschnellen und Schleusen, die wir alleine nicht bewältigen könnten. Und so wie andere auf unserem Fluss mit rudern, rudern wir auf den Flüssen der anderen. Freundschaft bedeutet, sich von anderen begleiten zu lassen und selbst Begleiter zu sein. Mal ist man selbst darauf angewiesen, dass jemand mit ins Boot steigt, um das gefährliche Gewässer durchzustehen, mal rudert man beim anderen mit, weil seine Kraft schwindet.

Das Leben gibt es nur im Wechsel von Geben und Nehmen. Mal müssen wir mehr nehmen, mal können wir mehr geben. So sieht es auch bei Freundschaft aus.
Also wissen wir, dass selbst wenn wir oder Freunde von uns enttäuscht sind und wir über sie, Freundschaften im Fluss des Lebens nicht den Bach runter geht. Sie verändern sich und wir verändern uns, aber auf dem Fluss unseres Lebens gibt es andere Boote. Halten wir danach Ausschau und rudern dorthin!

(Der Artikel ist zuerst erschienen in „Jetzt % hier“, der Zeitschrift der FeG Siegen-Geisweid.

Kommentar verfassen