Licht TROTZ Dunkel – Ostern im Glauben denken

Teil zwei meiner Predigtreihe zu Ostern, die sich etwas weiter vom Bezug zur Auferweckung entfernt – man muss den Bezug selbst ein wenig herstellen bzw. für sich finden. Die Predigt ist ein (nicht nur exegetisches) Wagnis, das ist mir durchaus bewusst – allerdings ist das jede andere Predigt in je ihrer Weise auch … Hier kann sie als Audioaufnahme heruntergeladen werden.

Einführung

Ich werde unserem Predigttext heute nicht gerecht. Weil ich es bei diesem Text nicht kann. Er ist mir zu dunkel. Stattdessen möchte ich euch mitnehmen in ein paar Gedanken, die mir kommen, wenn ich diesem Text begegne. Vielleicht sage ich dadurch heute mehr über mich, als über den Text. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob meine Fragen auch eure Fragen sind. Ich will nach dem Licht schreien, das ich im Titel der Predigt behauptet habe. Nach dem Osterlicht im Karfreitagsdunkel.

Dem trägt auch der Stil der Predigt Rechnung – ich werde ein wenig so reden, wie ich spontan denke. Nicht in geschliffener Argumentation. Und wäre die Predigt eine bibelwissenschaftliche Studienarbeit, müsste ich gnadenlos durchfallen – zu Recht. Ich frage einfach, was mir in den Sinn kommt …

Wie „klingt“ die Stimme Gottes?

Genesis 22

1   Einige Zeit danach geschah es: Gott stellte Abraham auf die Probe.  »Abraham!«, rief er. »Ja?«, erwiderte Abraham. 2   »Nimm deinen Sohn«, sagte Gott, »deinen einzigen, der dir ans Herz gewachsen ist, den Isaak! Geh mit ihm ins Land Morija auf einen Berg, den ich dir nennen werde, und opfere ihn mir dort als Brandopfer*.«

3   Am nächsten Morgen stand Abraham früh auf. Er spaltete Holz für das Opferfeuer, belud seinen Esel und machte sich mit seinem Sohn auf den Weg zu dem Ort, von dem Gott gesprochen hatte. Auch zwei Knechte nahm er mit. 4   Am dritten Tag erblickte er den Berg in der Ferne.

5 Da sagte er zu den Knechten: »Bleibt hier mit dem Esel! Ich gehe mit dem Jungen dort hinauf, um mich vor Gott niederzuwerfen; dann kommen wir wieder zurück.« 6   Abraham packte seinem Sohn die Holzscheite auf den Rücken; er selbst nahm das Becken mit glühenden Kohlen und das Messer. So gingen die beiden miteinander.

Mir wird übel, wenn ich diesen Text lese. Darf ich das sagen, dass mir übel wird beim Bibel lesen? Ich hoffe doch. Ich will nicht abstumpfen und sagen: „Ja, hier geht’s um dies und das, von daher ist das gar nicht so schlimm, was hier steht!“ So kalt möchte ich nicht werden. Es dreht sich mir der Magen um wenn ich höre, dass da jemand sein Kind töten will – nicht nur als Vater. Und noch viel mehr, wenn ich höre, dass Gott das befohlen haben soll. Da dreht sich mir nicht nur der Magen, da dreht sich mir auch alles im Kopf! Das soll „Gottes Wort“ sein? „Klingt“ so die Stimme Gottes? Kann das eine mögliche Botschaft Gottes sein? Hier geht’s ja nicht drum, eine Kleinigkeit aufzugeben, die mir angenehm oder wichtig ist. Mal ehrlich: Juristisch gesprochen ist das hier Anstiftung zum Mord! Ist Gott ein Anstifter? Ein Brandstifter, der zur Verteidigung eines Ideals vom christlichen Abendland aufruft?

Aber nicht nur dieser Klang der Gottesstimme – auch dieser Abraham ist mir suspekt. Diese Figur, auf die sich immerhin drei verschiedene Religionen in irgendeiner Weise berufen – was ist das für ein unkritischer Abnicker? „Bring um, was du liebst!“ — „Okee!“ Hallo? Hirn einschalten? Herz einschalten? Offenbar passt es in sein Gottesbild, dass so ein Befehl möglich ist. „Naja, Gott ist eben die höchste Autorität.“ – „Ich kann nicht verstehen, wie die Wege Gottes sind.“ – „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Fromme Sätze, die mir bekannt vorkommen. Die ich vor einigen Monaten sogar in ähnlicher Weise in einer christlichen Zeitschrift gelesen habe. Die ich vielleicht sogar vor Jahren einmal selbst hätte sagen können. Mir ist übel. Und ich frage mich ernsthaft: Wie „klingt“ die Stimme Gottes? Welchen Ton schlägt sie an? Welche Melodie summt sie? Was kann sie sagen – und was vielleicht auch nicht?

Was haben die Opfer zu befürchten?

7   Nach einer Weile sagte Isaak: »Vater!«  »Ja, mein Sohn?«  »Feuer und Holz haben wir, aber wo ist das Lamm für das Opfer?«  8 »Gott wird schon für ein Opferlamm sorgen!«  So gingen die beiden miteinander.  9 Sie kamen zu dem Ort, von dem Gott zu Abraham gesprochen hatte. Auf dem Berg baute Abraham einen Altar und schichtete die Holzscheite auf. Er fesselte Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf den Holzstoß. 10   Schon fasste er nach dem Messer, um seinen Sohn zu schlachten, …

„Wo ist das Opfer?“ – Der arme Junge scheint nichts zu ahnen. Scheint nicht zu ahnen, dass er das Opfer sein soll. Und ich höre die Frage der heutigen Opfer: „Was habt ihr mit uns vor?“ Ich höre das zaghafte Fragen von Minderheiten. Sie ahnen irgendwie, was mit ihnen passiert, wenn sie solchen Gottesleuten wie dem unkritischen Abraham begegnen. Und ich verstehe ihren Aufschrei: Was passiert denn mit mir, wenn meine Sexualität angeblich ein „Gräuel“ ist? Was werdet ihr mit mir machen, wenn mein Lebensentwurf nicht eurem frommen Ideal entspricht? Was habe ich zu befürchten, wenn die Stimme irgendeines Gottes lauter ist als mein Schrei nach Hilfe?

Muss nicht spätestens hier dieser Abraham ins Grübeln kommen, wenn vor ihm der Hilflose steht und fragt – was machst du hier eigentlich? Muss er sich nicht fragen, ob er richtig gehört hat? „Gott wird schon sorgen.“ Was ist das für eine Aussage? Ein naives „es wird schon alles richtig sein?“ Oder doch ein Fünkchen kritische Hoffnung: Na, vielleicht passt es gar nicht zu Gott, was ich hier gerade tue. Kann Gott das wirklich wollen? Kann Gott den Tod wollen? Ein Fünkchen. Eine Ahnung. Eine Hoffnung – vielleicht ist Gott doch anders. Nicht die absolute Autorität, der ich selbst in der äußersten Unverständlichkeit willig zustimmen muss. „Ich verstehe zwar nicht, was du tust, aber es wird schon ok sein.“ Nur ein Fünkchen. Und kurz darauf zückt dieser Abraham das Messer.

Noch eine Stimme?

11 … da rief der Engel des Herrn vom Himmel her: »Abraham! Abraham!«  »Ja?«, erwiderte er,  12 und der Engel rief: »Halt ein! Tu dem Jungen nichts zuleide! Jetzt weiß ich, dass du Gott gehorchst. Du warst bereit, mir sogar deinen einzigen Sohn zu opfern.« 13   Als Abraham aufblickte, sah er einen einzelnen Schafbock, der sich mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen hatte. Er ging hinüber, nahm das Tier und opferte es anstelle seines Sohnes auf dem Altar.  14 Er nannte den Ort »Der Herr [sieht]«. Noch heute sagt man: »Auf dem Berg [lässt der Herr sich sehen].«

Noch eine Stimme. Eine ganz andere. Sie klingt anders. Sie sagt etwas anderes. Eben noch hieß es: „Töte dein Kind!“ Jetzt heißt es: „Tu ihm nichts!“ — Was denn nun? Welche Stimme hat denn Recht? Diese hier hat zumindest das letzte Wort. Die erste Stimme ist vergangen, ich höre eine neue Stimme. Nicht mehr die Stimme Gottes. Die Stimme seines Engels. Wie könnte ich auch die Stimme Gottes direkt hören, ohne sie falsch zu verstehen? Wie könnte ich es richtig einordnen, wenn es mir niemand erklärt?[1] Der Engel redet. Und plötzlich verstehe ich Gott anders. Ich sehe ein, dass Gott nicht beliebig frei, nicht willkürlich entscheidet – sondern immer für das Leben, für die Menschen. Ich sehe Gott, denn „der Herr lässt sich sehen“!

Mir geht ein Licht auf, mitten im Dunkel des Bildes, das ich mir von Gott gemacht habe. Mitten im Dunkel, das andere an mich herantragen wollen. Mitten im Dunkel, das mich immer wieder überfallen will, weil und wenn ich am „Happy End“ zweifle. Dann überkommt mich als einem Abraham der Gedanke: Ich habe mich bisher verhört. Gott ist nicht willkürlich! So kann ich ihn nicht (mehr) verstehen. Vielmehr so, wie Jesus den Propheten Hosea zitiert: „Ich fordere von euch nicht, dass ihr mir irgendwelche Opfer bringt, sondern dass ihr barmherzig seid.“[2]

Gott lässt sich sehen. Das ist der Gipfel unseres christlichen Glaubensberges. Gott lässt sich sehen in der Geschichte des Christus! In der Hingabe fürs Leben anderer. In der Heilung der Wunden gebrochener Biografien. In der festen Überzeugung, dass Gott nicht Menschen als Mittel zum Zweck missbraucht, sie nicht für ein höheres Ideal opfert. Sondern sich selbst.

Will Gott, was er eben will?

15   Noch einmal rief der Engel des Herrn vom Himmel her 16 und sagte zu Abraham: »Ich schwöre bei mir selbst, sagt der Herr: Weil du mir gehorcht hast und sogar bereit warst, mir deinen einzigen Sohn zu geben,  17 werde ich dich segnen! Deine Nachkommen mache ich so zahlreich wie die Sterne am Himmel und die Sandkörner am Meeresstrand. Sie werden ihre Feinde besiegen und ihre Städte erobern.  18 Bei allen Völkern der Erde werden die Leute zueinander sagen: ‘Gott segne dich wie die Nachkommen Abrahams!’ Das ist die Belohnung dafür, dass du meinem Befehl gehorcht hast.«

Hat er es vielleicht doch geahnt? Hat er sich vielleicht doch nicht auf irgendeinen Gott verlassen, der Irrsinniges, Unglaubliches, Perverses von ihm fordert? Sondern auf einen Gott, der die Liebe zum Leben selbst ist!?

Dann hat er sich verhört. Musste auf dramatische Weise an den Gott der Menschenfreundlichkeit erinnert werden. Vielleicht zum ersten mal!? Erinnert werden an den Gott, der niemals von mir fordert, Menschen zu seinem Zweck aufzugeben. Lebensgeschichten für seinen Willen zu opfern. Der mir doch niemals sagen kann, dass irgendein Ideal wichtiger ist als der Mensch – sei es ein theologisches, politisches, sexuelles oder ethisches Ideal. Dass irgendetwas wichtiger sein sollte, als DU. Mit deiner Geschichte. Mit deinen Wunden. Mit deinen Makeln und Marotten. Mit allem, was dich ausmacht.

Darin liegt Segen, das heißt: Darin liegt eine Kraft, die Menschen heil macht, wo sie selbst für andere wichtig werden. Wo du selbst in deiner Würde unantastbar bist. Wo du nicht für eine noch so fromme Idee geopfert wirst. Wo du selbst viel wichtiger bist als jedes Ideal.

Aber da bin ich Abraham, immer wieder. Weil ich es vergesse. Weil ich dir nicht gerecht werde. Meiner Familie nicht gerecht werde. Meiner Gemeinde nicht gerecht werde. Und mir gleichzeitig sagen lassen darf und muss: auch das ist ein Ideal, immer allen gerecht zu werden.

Der Text stellt mich vor eine Herausforderung, die mir persönlich heute leichter fällt als früher – aber noch längst nicht leicht. Diese Geschichte stellt dich vor die Herausforderung, dein Bild von Gott zu überdenken. Was bist du bereit, zu opfern: Deine Mitmenschen für dein Bild von Gott? Oder umgekehrt, dein Bild von Gott für deine Mitmenschen?

Lasst uns lieber Ideale opfern, als Menschen … dazu helfe uns Gott! Amen.

[1] Apg 8,26–40

[2] (Mt 9,13 nach Hos 6,6)

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