„Emerging Church“ in Deutschland – der emergente Dialog

In Deutschland gibt es keine „emerging church“. Das heißt jedoch nicht, dass die Bewegung, die ihre Ursprünge hauptsächlich in den USA hat, in Deutschland keinen Einfluss gehabt hätte oder hat. Im Gegenteil.

Das Konzept „emerging church“ als „emergenter Dialog“

Künkler/Faix/Bachmann betonen in ihrem kleinen Büchlein „Emerging Church verstehen“, dass sich die „emerging church“-Bewegung in Deutschland zu einem „emergenten Dialog“ entwickelt hat. In diesem Dialog soll es nicht darum gehen, feste Antworten auf Fragen zu finden, die nicht einmal gestellt worden sind, sondern er soll anregen miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, wie gelebtes Christentum und Spiritualität in der postmodernen Gegenwart aussehen können. Beispielhaft seien einige Fragen genannt: Wie lässt sich die Rechtfertigung Gottes im 21. Jahrhundert glauben und verkündigen, wie verstehen wir die Bibel, wie lässt sich eine christliche Ethik formulieren und vor allem, wie verstehen wir Gemeinde? Diese Fragen zur Soteriologie, Hermeneutik, Ethik, Ekklesiologie und nicht zuletzt zur Spiritualität werden in dem emergenten Dialog gestellt.

Auffällig ist, dass die Kategorien, in denen sich diese Fragen stellen, keine neuen sind, jedoch ist die Perspektive eine andere. Der emergente Dialog fragt aufgrund der sich verändernden gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen welche Fragen sich überhaupt heute für die Menschen stellen, auf welche dieser Fragen wir Antworten geben können, wie diese aussehen und welche Fragen zeitweise auch offen bleiben müssen. Welche Fragen stellen sich in der postmodernen Gegenwart und wie können wir aus christlicher Perspektive dazu Stellung beziehen? Das ist meines Erachtens im Kern die Fragestellung des emergenten Dialogs. Doch geht es nicht allein nur darum auf bestehende oder sich verändernde Gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren, sondern sie fragen auch danach, wie wir aus christlicher Perspektive positiv auf die in der Gesellschaft agieren können. (Dazu später mehr in dem Kapitel „Kultur und Evangelium“)

Wenn ich Eingangs die These aufgestellt habe, dass es in Deutschland keine „emerging church“ gibt, dann liegt es daran, dass die Dialogteilnehmer von sich nicht behaupten würden, sie arbeiteten in einer „emerging church“ oder haben eine eben solche gegründet. Der emergente Dialog in Deutschland versteht sich vielmehr als Austausch von einzelnen Interessierten, die aus ganz unterschiedlichen Konfession oder kulturellen Hintergründen kommen. In diesem Dialog geht es darum, dass Menschen mit ihren Erfahrungen, Meinungen, Fragen, Anregungen und Zweifeln ins Gespräch kommen und sich austauschen. Am Ziel dieses Dialoges steht nicht immer eine Antwort zu finden auf die Frage oder die praktische Anwendung der Erkenntnisse, sondern darum, im Dialog aufeinander zu hören, voneinander zu lernen und einander zu unterstützen. Der Effekt, der dabei entsteht, ist, dass die Dialogteilnehmer, ihre Erfahrungen mit in den Dialog einbringen, und gleichzeitig inspiriert durch den Dialog wieder in ihrem Alltag und ihren Gemeinden den Glauben leben.

Bevor ich jetzt aber weiter abstrakt über diesen Dialog spreche, möchte ich die Strukturen und Arbeitsweisen des emergenten Dialogs in Deutschland vorstellen.

Strukturen und Arbeitsweise des emergenten Dialogs in Deutschland

In Deutschland stellt sich der emergente Dialog auf unterschiedliche Arten und Weisen dar.

Zum einen gibt es eine Homepage von „Emergent Deutschland“ (http://www.emergent-deutschland.de), die auf der einen Seite grundsätzliche Informationen über den emergenten Dialog in Deutschland bietet und auf der anderen Seite in regelmäßigen Abständen eine Zusammenschau von Blogs gibt, die sich mit emergenten Themen bzw. Fragestellungen auseinandersetzen.

Auf dieser Homepage stellt sich auch der sog. Koordinationskreis von Emergent Deutschland vor. Dieser Koordinationskreis ist durch die Verbindung einzelner freundschaftlich verbundener Christen entstanden. Sie verstehen sich selber als „eine den dialogischen Rahmen moderierende Initiativgruppe“, die das Grundanliegen verfolgt „jenseits von ‚konfessionellen Schützengräben‘ und frommen (Selbst-)Festlegungen aufeinander zu hören, voneinander zu lernen und außerhalb des Gewohnten zu denken und zu handeln.“ Obwohl es zu dem selbsterklärten Ziel dieses Koordinationskreises gehört für Transparenz zu sorgen, ist leider nicht ersichtlich, wer diesem Kreis angehört. (Vermutlich handelt es sich um die Personen, die auf der Homepage im Impressum als „Herausgeber“ aufgeführt sind.)

Unter anderem von diesem Kreis gefördert gibt es mittlerweile zwei Publikationsreihen von Emergent Deutschland. „Edition Emergent Deutschland“ (Francke-Verlag, Marburg) veröffentlicht Bücher, die die Herausforderungen der postmodernen Gegenwart für Theologie und Kirche thematisieren. Viel Beachtung haben da die Bände „Zeitgeist“ (Faix, Weißenborn, Marburg 2007) und „Zeitgeist 2“ (Aschoff, Faix, Weißenborn, Marburg 2009) gefunden. Die zweite, relativ junge Publikationsreihe nennt sich „Einfach Emergent“ (Francke-Verlag, Marburg), die sowohl Grundfragen des emergenten Dialogs nachgeht als auch Spezialthemen wie Spiritualität oder Hermeneutik behandelt.

Ein wichtiger Baustein des emergenten Dialogs in Deutschland ist das „Emergent Forum“, das jährlich an unterschiedlichen Orten stattfindet. Dieses Forum behandelt aktuelle Fragen und Themen des christlichen Glaubens, wodurch der Dialog gefördert werden soll. Das diesjährige Forum stand unter dem Motto „Spiritualität: Rhythmus & Begegnung“.

Des Weiteren heben Künkler/Faix/Bachmann die Bedeutung lokaler Initiativen und Netzwerke hervor, die sich im emergenten Dialog bilden.

Damit wir einen kleinen Einblick in den Dialog bekommen habe, ich eine kleine, qualitative, nicht-repräsentative, nicht-wissenschaftliche Umfrage erstellt. Der Fragebogen wurde an fast alle Vertreterinnen oder Vertreter geschickt, deren Initiative oder Gemeinde auf der Emergent Deutschland Homepage unter der Rubrik „vernetzen“ eingetragen ist. Geantwortet haben bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht fast alle.

Was unter „emerging church“ verstanden wird

In der Umfrage wird deutlich, dass der Begriff „emerging church“ deutlich unterschiedlich gefüllt wird. Während Fabian Vogt auf den Kirchenbegriff rekuriert, („Eine Kirche, die sich mit der Kultur und der Gesellschaft ‚entwickelt‘“, F. Vogt, Email an den Autor), betont Matthias Ehmann, den Dialogcharakter der Bewegung in Deutschland. „Es gibt nicht so viele [emerging-church-, T.H.]Gemeinden aber in vielen Gemeinden viele Leute die das einzeln überlegen. Ihr Gespräch in Freundschaften, Foren wie emergent deutschland und im Netz sind das Gespräch und der lebendige Austausch zur Frage wie wir Kirche im 21. Jahrhundert sind.“ (M. Ehmann, Email an den Autor)

Eine Person, die mit ihrer Initiative überraschenderweise auch in dem Netzwerk eingetragen ist, sieht in der „emerging church“ allerdings ein „gescheitertes Konzept um eine Kirche/Theologie für die sog. postmoderne Welt zu schaffen. Einige Überlegungen waren es aber schon wert:-)“ (Autor möchte nicht genannt werden)

Zum Verhältnis von Kultur und Evangelium

Eine Frage, die im emergenten Dialog diskutiert wird, ist die Verhältnisbestimmung von Kultur und Evangelium. Es ist eine wechselseitige Beziehung erkennbar. Auf der einen Seite wird betont, dass es das Evangelium nie ohne ein kulturelles Gewand gibt. C. Schmitter schreibt: „Jesus – das personifizierte Evangelium – war nicht nur Mensch, sondern auch Jude des 1. Jahrhunderts im vorderen Orient.“ (C. Schmitter, Email an den Autor) Das bedeutet, dass wir auch in unserer heutigen Zeit das Evangelium nie unabhängig von der Kultur haben. Es werden zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Aspekte des Evangeliums erkannt. Das Evangelium ist also nicht von der Kultur zu trennen. Daneben wird im emergenten Dialog zunehmend eine „Reich-Gottes-Theologie“ vertreten. Künkler/Faix/Bachmann argumentieren aufgrund der Verkündigung Jesu, dass „das Evangelium von Gottes anbrechendem Reich … nicht nur von der Errettung einzelner Menschen bzw. deren Seele [handelt], sondern … von der Heilwerdung des ganzen Beziehungsgefüge dieser Welt.“ Damit hat das Evangelium gegenüber der Kultur also auch eine korrigierende Funktion. Fabian Vogt schreibt: „Zugleich aber hat das Evangelium natürlich den Anspruch, die Einzelnen in eine Dimension des Lebens einzuladen, die über ihre Alltagskultur hinausgeht. Wichtig dabei ist: Das Evangelium soll über die Kultur hinausweisen“ (F. Vogt, Email an den Autor). Das Evangelium gibt es also nie ohne die Kultur, transzendiert diese jedoch.

„Ökumene von unten“

Fragt man danach, wie in einer sich immer mehr ausdifferenzierenden und pluralisierenden Gesellschaft eine gemeinsame Stimme der Kirchen möglich ist, trifft man auf das Konzept der „Ökumene von unten“ Deutlich wird dies zum einen darin, dass in dem Dialog Interessierte unterschiedlichster Konfessionen teilnehmen. Die Teilnahme wird nicht begrenzt. In der Praxis zeigt sich aber, dass die Dialogpartner hauptsächlich aus protestantischen, pietistischen Kreisen kommen. Zum anderen  erhält die „Ökumene von unten“ dadurch ihre Gestalt, dass einzelnen Initiativen und Kirchen auf lokaler Ebene miteinander im Gespräch sind und z.B. gemeinsame Gebetstreffen, sozial-diakonische Aktionen oder Gottesdienste veranstalten.

Konkrete Beispiele des emergenten Dialogs

An dieser Stelle möchte ich noch kurz darauf eingehen, wie die Gedanken des emergenten Dialogs im Gemeindealltag auftauchen. Es ist zum Beispiel zu beobachten, dass sich eine Vielzahl an kommunitären oder teilweise auch monastische Initiativen bilden. Diese alte Form der gelebten alltäglichen Spiritualität scheint für viele Menschen an Bedeutung zu gewinnen. Außerdem werden neue Ausdrucksformen gelebter Spiritualität gesucht, in dem man alte Rituale wie das Herzensgebet oder die lectio divina mit in das Gemeindeleben integriert. Diese Suche nach neuen Ausdruckformen ist dabei meines Erachtens eine berechtigte Reaktion auf sich verändernde Bedürfnisse nach ganzheitlicher Spiritualität. Alte Formen werden wiederentdeckt, um Orte, Zeiten und Rituale zu schaffen, sodass Glaube nicht nur kognitiv sondern auch ganzheitlich erlebt werden kann. Eine Einheitliche Form wird dabei nicht angestrebt, sondern jede Gemeinschaft entdeckt für sich, welche Formen zu ihnen passen.

Fazit

Der emergente Dialog stellt in Deutschland eine wachsende Bewegung dar, die versucht in einer sich verändernden gesellschaftlichen Gegenwart die Fragen des christlichen Glaubens zu formulieren und gemeinsam Antworten zu suchen. Der Dialog ist dabei nicht immer gut „zu greifen“, es gibt jedoch einige Punkte, wo man ihn nachvollziehen und miteinsteigen kann.

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