Schwarzer Cowboyhut, langer, dunkler Ledermantel und dazu die passende Hose, Vollbart und raue Stimme. So stellte sich Gott vor. Gestern habe ich in Köln die Inszenierung des kompletten ersten Buches der Bibel besucht: Genesis. Eine darstellerische Meisterleistung über 5 1/2 Stunden.
In Szene gesetzt wurden die gesamten 50 Kapitel des ersten Buch Mose nach der Jerusalemer Übersetzung in einer großzügigen, umfunktionieren Industriehalle – jetzt Stätte des Schauspielköln (http://www.schauspielkoeln.de)
In dieser Halle ragt ein großer, sandiger Berg empor, der als Kulisse diente. Einfach, groß, zweckdienlich. Man konzentriert sich weniger auf die Kulisse, mehr auf die Schauspieler.
Und die waren gut. 15 Personen, davon 13 ausgebildete Schauspieler und die beiden Söhne des Regisseurs – Robin und Bela B. (kein Scherz.) – boten in drei Akten (Gen 1–22; 23–32; 33–50) die Ur- und Vätergeschichte dar. Wer sich bei einer Klausur noch einmal über zu viel Auswendiglernerei beschwert, dem sei gesagt: Das, was die Schauspieler hier an Text parat hatten, war beachtlich. Besonders die Geschlechtsregister beeindruckten mich. Die Genesis strotzt vor Passagen, in denen bis ins Detail erklärt wird, wer von wem abstammt, wer wessen Kinder gebar, wer wie lange lebte und wo. Und das konnten uns die Schauspielerinnen und Schauspieler fast fehlerfrei präsentieren. Mir wurde bewusst, warum diese Geschlechtsregister für den Juden so wichtig war: Hört man sich fünf Minuten an, wer seine eigenen Vorfahren sind, wird einem der Segen Gottes spürbar deutlich.
Die Inszenierung fängt ganz harmlos an. Die Schöpfungsberichte werden vorgelesen. Der Zuschauer wird mitgenommen auf eine Reise, wie Gott der Schöpfer die Welt erschaffen hat. Gott – hier in seiner Funktion als Vorleser – sitzt auf einem klapprigen Holzstuhl, vor ihm ein Notenpult darauf ein Ordner mit dem Text, neben ihm ein kleiner Kanister mit Wasser, aus dem später die Wassermassen der großen Flut strömen.
Dann nach kurzer Zeit die erste Aufregung. Noah ist plötzlich betrunken und nackt. Bekommt der Zuschauer diese Eskapade präsentiert, hegt sich Unbehagen. Doch: so steht es da.
Die Geschichte Abrahams wird dann schon ausführlicher dargestellt. Ab hier entscheiden sich die Macher des Stücks, die Menschen in eine Art epileptischen Anfall verfallen zu lassen, wenn Gott mit ihnen redet. Interessante Interpretation, die Wirksamkeit der Anrede Gottes zu präsentieren. Aber irgendwie auch befremdlich. Wenn ich bete, sieht das anders aus.
Nachdem der Zuschauer auf die lange Reise genommen wurde bis Sarah Abraham endlich den ersehnten Sohn gebar, liegt – ehe man sich versieht – dieser Sohn auch schon als Opfer bereit. Die Spannung stand in der Luft. Und dann: Pause.
Die brauchte man auch. Man tauscht sich über die Eindrucke aus, fragt sich, ob das alles wirklich „so“ da steht (ja, das tut es!), trank eine hippe Rhabarberbrause und freute sich, dass es weiter geht. Wenn man als Theologiestudent weiß, dass Abraham seinen Sohn nicht opfern muss, verdirbt das einem etwas die Spannung. Egal. Es war gut.
Im zweiten Teil werden manche Dialoge, Erzählpassagen bei der Inszenierung ähnlich zäh wie beim Lesen, doch ist es eine spannende Erfahrung diese Geschichten einmal am Stück aufzunehmen, um auch die unverständlichen Dinge zu entdecken. Abraham tut es zweimal, sein Sohn Isaak einmal. Sie verleugnen ihre Frauen. Schöne Frauen. Auch entdeckt man Ereignisse oder Personen, auf die man sonst nicht achtet. (Was soll dieser Irre in 1. Mose 37,15–17)
Der Streit zwischen Jakob und Esau wird dramatisch. Man spürt Esau den Zorn darüber ab, dass Josef ihm den Segen seines Vaters erschlichen hat. Das verändert ihn. Während Esau vor sich hin zürnt, fragt sich der Zuschauer, warum Jakob durch so viel Unrecht zu einem der wichtigsten Männer der Geschichte Israels wird – schließlich wird sogar das ganze Volk nach ihm benannt.
In der zweiten Pause spendierten die Veranstalter dem Publikum dann ein Linsengericht. Vermutlich in Anlehnung an jenes Gericht, mit dem Jakob das Erstgeburtsrecht erkauft hat. Egal, das Essen war lecker und man staunte über die Großzügigkeit der Veranstalter.
Dann ging es zum Endspurt. Die Josefsgeschichte. Hier merkt man, dass die Inszenierung immer moderner wurde. Die Brüder Josef erinnern mit ihren Cowboyhüten, Feuerwaffen und Lederfransenhosen eher an die Daltson, die mal wieder etwas böses im Schilde führen. Doch heißt der Gegner nicht Lucky Luke, sondern Josef.
Ebendieser überrascht – nachdem er vom Pharao als Verwalter über ganz Ägytpen eingesetzt wird – durch eine Robbie Williams-Performance. Der Zuschauer merkt, so wie Williams zum Superstar für viele wird, wenn er mit ausgebreiteten Armen auf der Bühne „Feel“ performed, scheint Josef der Superstar für Ägypten gewesen zu sein. Die silberglitzernde Unterhose und Jacke und die gestriegelte Haartolle irritieren, aber setzen Josef in Szene.
Was nimmt man aus so einer Inszenierung mit? Ich jedenfalls war beeindruckt von der ganzen Machart. Einfach, clever, witzig. Tiefgründung, spannend, bewegend.
Die Inszenierung sei jedem empfohlen, der auf gutes Theater steht, die „bekannten“ Geschichten mal inszeniert sehen möchte oder einfach Linseneintopf und fünf Stunden sitzen mag.
Der geneigte Bibelleser empört sich über vielleicht das eine oder andere, was er da sieht, weil er es sonst nur liest. Doch es bewegt mich und ich denke über mein Gottesbild nach. Passt es zu dem despotischen Gott, der die gesamte Stadt Babel in Form einer kleinen Sandburg schroff mit seinen Füßen zerstreut? Passt es zu dem Gott, der hält was er verspricht (Gerade das, wird an diesen Geschlechtsregistern deutlich!)? Passt es zu dem Gott, der als Cowboy mit Lederjacke die Zügel ziemlich in der Hand hält?