In regelmäßigen Abständen bietet die mediale Landschaft ein gewisses Aufregungspotenzial für solche, die sich von bestimmten Dingen gerne aufregen lassen. Dazu gehört momentan wohl auch die Sendung „Hochzeit auf den ersten Blick“ bei Sat.1, in der zwei Menschen bei ihrem ersten Treffen gleich heiraten, ohne sich je vorher gesehen zu haben. Tom und Sebastian haben sich kurz darüber ausgetauscht – die kurzen und sicher unvollständigen Gedanken stellen wir hier gern zur Diskussion.
Sebastian: Wie siehst du denn die Sendung?
Tom: Höchst fragwürdig. Allerdings kann ich, wenn ich von der Ehe als Institution ausgehe, die ein Zusammenleben regelt und möglich macht, durchaus Positives erkennen. Ich würde zumindest auch fragen wollen, ob die (wissenschaftlichen) Kriterien, nach denen entschieden wird nicht ebenso tragfähig sind, wie eine Ehe, die durch ein hohes Maß an Emotionen geschlossen wird. Die Sendung trägt zumindest dazu bei, einer neuromantisierenden Verklärung der Ehe entgegenzuwirken. Allerdings bin ich mir noch sicher, ob ich diese Sendung öffentlich befürworten möchte …
Sebastian: Ich sehe das Format auch höchst ambivalent.
Tom: Also emotional denke ich sofort an Zwangsehe und ein mittelalterliches Eheverständnis, aber letzten Endes passiert da sehr offensichtlich, was längst schon Gang und Gäbe ist, wenn sich Paare über Onlineplattformen finden, nur, dass sie dann noch nicht direkt verheiratet sind.
Sebastian: An Zwangsehe oder ähnliches denke ich gar nicht. Die Personen machen das (hoffe ich) im Bewusstsein der eigenen Selbstbestimmung.
Tom: Naja, die Paare geben ein grundsätzliches „Ja“ zur Eheschließung, aber sind bei der Suche der Partner nicht beteiligt …
Ich sehe es so: Zum einen degradiert diese Sendung die Ehe, da davon ausgegangen wird, dass wenn es nicht klappt, man sich einfach wieder scheiden lassen kann. Zum anderen wertet sie die Ehe extrem auf, indem davon ausgegangen wird, dass sie eine tragfähige Institution ist, ein Zusammenleben zu regeln.
Sebastian: Ist sie das?
Tom: Ja, ich finde schon. Anders als Viele bin ich ein Fan von (öffentlichen) Institutionen.
Sebastian: Aber ist das dann nicht tendenziell eine Verzwecklichung ((Die Ehe wäre dann dazu da, einen gewissen Zweck zu erfüllen.)) der Ehe, wenn die Institution die Beziehung regelt? Hat die Ehe wirklich die Aufgabe, das Zusammenleben zu regeln? Oder ist sie nicht vielmehr Ausdruck einer bestimmten Form/Entscheidung, das eigene Leben in Gemeinschaft als geregelt (öffentlich) zu erkennen zu geben?
Tom: Vielleicht habe ich mich da nicht angemessen ausgedrückt. In dem was, du geschrieben hast, sehe ich die Funktion einer Ehe. Und wenn ich von Funktion spreche, müsste man tatsächlich von Verzwecklichung reden. Das würde ich dann in Kauf nehmen. Einen Selbstzweck hat die Ehe sicher nicht. „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“ (Mk 2,27)
Sebastian: Die Ehe als Institution (!) mag kein Selbstzweck sein, aber die Ehe als eine bestimmte Form einer Lebensgemeinschaft ist meines Erachtens schon selbstzwecklicher Natur. Das heißt, die Institution ist nicht (in erster Linie) dazu da, eine Funktion zu erfüllen, sondern sie ist die Art und Weise der Gemeinschaft selbst.Etwas vereinfacht ausgedrückt:Ich heirate nicht, damit die Ehe dies und jenes leistet, sondern ich heirate, weil dies die Form ist, in der ich mit einem Menschen zusammenleben möchte. Grammatikalisch gesprochen: Kausal, nicht final. Das ist natürlich eine sehr reflektierte Haltung gegenüber der Ehe, die bei der Hochzeit (!) wohl in den wenigsten Fällen dominiert.
Tom: Und wenn sie die Art und Weise der Gemeinschaft ist, dann ist doch das Format der Sendung wiederum nicht mehr so fragwürdig. Die Paare treffen die Entscheidung, auf diese Art und Weise ihr Zusammenleben zu regeln. Und das, obwohl sie sich nicht kennen.
Sebastian: Ja, wenn man das Format so interpretiert, halte ich das für ein nachdenkenswertes Postulat in einer – was die Ehe angeht – überromantisierten Gesellschaft. Ich denke nur, man kann das Format m. E. so nicht einfach interpretieren, weil das neben vielem anderen den medialen Aspekt völlig außer Acht lässt. Aber die Diskussion vertragen wir mal.
Tom: Ich möchte noch mal kurz auf den Funktionsbegriff eingehen. Ich sehe die Funktion darin, die Art und Weise des Zusammenlebens zu regeln. Regeln helfen dabei nicht in ständiger Ungewissheit zu leben. Und man merkt, sobald diese Regeln gebrochen werden, stellen sich Ungewissheiten ein, die das Leben wiederum sehr schwer machen. Nicht umsonst ist der Gründer der Jesus-Freaks der evangelische Theologe. Einen lutherischen Pfarrer hätte man sicher dafür nicht begeistern können.
Sebastian: Sagen wir lieber evangelischer Pastor … ist zwar ein theologischer Beruf, aber nicht jede/r Pastor/in ist ein/e Theologe/Theologin … Aber noch kurz zu meinem letzten Punkt: Ein wesentliches Problem der Sendung besteht meines Erachtens in der Zurschaustellung und der – schon angesprochenen – Tendenz zur Abwertung der Ehe. Vor allem der Missbrauch der Institution Ehe als mediale Attraktion erscheint mir fragwürdig. Ob die Deklaration „soziales Experiment“ daran etwas ändert, wage ich zu bezweifeln. Es geht sicher vor allem um Quote, nicht um wissenschaftliche Erkenntnis.
Tom: Ja, aber durch diese Medialisierung besteht doch immer auch die Chance, den Wert der Ehe zu steigern, indem sich Leute darüber aufregen, wie in dem Format mit Ehe umgegangen wird.
Sebastian: Nur bei denen, die ihr so oder so bereits einen Wert beimessen. Bei denen, die das nicht tun, wird es wohl ebenfalls lediglich die vorhandene Meinung verstärken. Was ich mich frage: Sollte man für eine Einschaltquote damit spielen, welche Erfahrungen (die) Menschen (, die bei der Show mitmachen,) mit der Ehe machen?
Tom: Naja, aber das liegt doch in den Händen der Teilnehmenden. Ich gehe davon aus, dass da Leute mitmachen, die sich davon durchaus etwas erhoffen – auch oder gerade weil sie dafür ins Fernsehen müssen.
Sebastian: Ja, schon. Vielleicht hat es ja gar keine Auswirkungen, aber ich bin mir doch unsicher, ob die Erfahrung in einer solch künstlich hergestellten Situation angemessen ist, das persönliche Bild von Ehe zu prägen. Ich meine: Ist man sich bewusst, dass die dort gemachten Erfahrungen möglicherweise nicht einfach mit denen in einer nicht medial erzeugten Ehe gleichzusetzen sind?
Tom: Die Unsicherheit besteht in jedem Fall. Wir sollten noch mal darüber reden, wenn wir Erfahrungswerte der Teilnehmer haben, wobei die empirische Untersuchung nur bedingt die grundsätzlichen Fragen beeinträchtigen sollten.