Kleider machen Leute. Das war schon immer so und wird – wenn wir nicht zum „Adamskostüm“ zurückkehren – immer so sein. Die Uniform macht dich als Soldat oder Polizistin kenntlich, ein Talar als Pfarrerin und eine blaue Latzhose als Elektriker. Hier ist die Kleidung funktional, das heißt, sie erfüllt einen bestimmten Zweck. In der blauen Latzhose lassen sich Zollstock und Spannungsprüfer unterbringen, der schwarze Talar unterscheidet die Pfarrerin vom Rest der Gemeinde und lenkt gleichzeitig wenig von dem Gesagten ab und in der Uniform ist der Soldat am Feld für den Feind weniger gut zu erkennen. Kleidung erfüllt seinen Zweck, Kleidung macht Leute.
Bei der Uniform, dem Talar oder der Latzhose ruft dieser Satz wenig Empörung hervor. Doch wie sieht es aus, wenn Menschen durch Kleidung in unterschiedliche Klassen eingeteilt werden? Mike Jeffries, der Geschäftsführer von Abercrombie & Fitch – einem berühmtem amerikanischen Modelabel hauptsächlich für Teenager – sprach letztens in einem Interview über die Ziele seines Unternehmens: „In jeder Schule gibt es die coolen und beliebten Kinder. Und dann gibt es noch die weniger coolen Kinder. Ehrlich gesagt, wir wollen die coolen Kinder. Wir wollen die attraktiven, typisch amerikanischen Kinder mit einer tollen Einstellung und jeder Menge Freunde … Sind wir exklusiv? Absolut … Abercrombie interessiert sich nur für Leute mit Waschbrettbäuchen, solche, die so aussehen, als würden sie gleich auf ein Surfbrett springen.“ Dieses Modelabel macht mit ihrer Kleidung nicht nur Leute, sondern stellt sogar Ansprüche an seine Käuferinnen und Käufer. Selbst wenn Kinder, die aufgrund ihres Gewichts zu den vermeintlich weniger coolen zählen, diese Kleidung kaufen wollten, hätten sie keine Chance. Schon bei Größe 38 (für alle männlichen Leser: das ist „M“) ist hier Schluss.
Im ersten Moment erschreckt diese Einstellung. Man empört sich über diese Unverschämtheit. Die Reaktionen endeten nicht selten im Boykott oder in einer Klage.
Sicher, eine Klassifizierung der Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten möchte augenscheinlich niemand. Aber nicht nur den großen Modelabels passiert das. Mir auch. Oft sogar an Weihnachten.
An Heilig Abend stehe ich vor meinem Kleiderschrank. Bei mir muss es zwar kein Anzug sein, aber eine gute Jeans, ein schickes Hemd und die passenden Schuhe dürfen es schon sein. Und dann mache ich mich auf den Weg. Beim Gottesdienst entdecke ich viele, die ähnlich gekleidet sind wie ich, die meisten jedoch besser. Beim großen Weihnachtsbuffet dann, das jedem die Möglichkeit bieten soll, an Heilig Abend ein gutes Essen in einer noch besserer Gemeinschaft zu bekommen, sieht es anders aus. Nicht jeder hat ein Hemd an, viele tragen einen alten Pulli. Der eine oder die andere besitzt vielleicht gar kein Hemd oder nur sein bzw. ihr letztes.
Und genau jetzt ertappe ich mich. Genau jetzt schleicht sich der Gedanke ein, man könne sich doch wenigstens zu Weihnachten angemessen kleiden.
Wie war das denn damals? Da auf dem Feld und in diesem Stall? Da waren die Hirten (Lukas 2,8–20). Man trug noch Wolfsfell, kein Wolfskin. Doch der Zweck war ähnlich: funktionale All-Wetterkleidung. Sicherlich nicht besonders ansehnlich, doch sie tat ihren Dienst. Und da gab es ein paar Magier aus dem Osten (Matthäus 2,1–12). Ihr Zwirn war ein etwas feinerer. Sie waren Gelehrte. Was heute der Anzug ist, war damals ein schickes Gewand, Wanderschuhe mussten trotzdem sein. Und beide – Hirten wie Magier – machten sich auf zur Krippe. Klar, die einen wurden durch eine Mannschaft Engel darauf aufmerksam, die anderen folgten einem Stern. Doch schließlich fanden sie beide zu ihrem Ziel. Und genau da hieß es nicht: „Ehrlich gesagt, wir wollen die coolen Kinder. Wir wollen die attraktiven …“ Dort heißt es: Komm, so wie du bist! Ob im muffigen Wolfsfell oder im edlen Zwirn. An der Krippe ist Platz für euch beide. Wer als Baby in einem Stall irgendwo im Nahen Osten zur Welt kommt, kümmert sich nicht darum, was deine Haut schmückt.
Kleider machen Leute. Genau. Auch an Weihnachten. Auch auf dem Feld und in dem Stall. Das Fell den Hirten und das Gewand den Magier. Doch was die Kleidung hier mit den Akteuren macht, verliert seine Bedeutung. Denn was an Weihnachten zählt ist das, was der Anblick des Kindes mit ihnen macht. Er macht, dass die Hirten Gott rühmen und preisen (Lukas 2,20) und die Magier sich niederwerfen, das Kind anbeten und ihm Geschenke machen (Matthäus 2,11).
Auch wenn Kleider Leute machen, gilt die Weihnachtsbotschaft vorbehaltlos jedem, Hirte wie Magier, Anzug- wie Secondhand-Träger. Darum singt die Christenheit nicht nur: „Herbei, o ihr Gläubigen“, sondern auch und vor allem: „Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all“!
(erschienen in: „Jetzt und Hier“, 4/13, Zeitschrift der FeG Siegen-Geisweid)