Das Zentrum für evangelische Predigtkultur hat für die Fastenzeit 2014 eine herausfordernde Aktion ausgerufen: Sieben Wochen ohne große Worte. Aus der Beschreibung: „Kaum eine Predigt kommt ohne Große Worte aus: Barmherzigkeit, Hoffnung, Kreuz … Manchmal funktionieren sie wie Platzhalter, aus denen die Inhalte längst ausgewandert sind. Die Predigtsprache gerinnt in Substantiven. Wie kann sie wieder lebendig, anschaulich und konkret werden?“ Verzicht ist das Stichwort. Ein paar Gedanken dazu. ((Entstanden aus einer Diskussion bei Facebook. Danke für die Anregungen, Marco.))
Die Aktion hat so manchen mehr oder weniger lauten Aufschrei nach sich gezogen, wie man denn so zentrale Begriffe einfach streichen könne. Doch es geht in der Aktion ja nicht darum, die Worte einfach wegzulassen. Es geht darum, den Sinn der Worte wieder neu zu beleben – und dazu kann es sehr hilfreich sein, sie einmal neu und vielleicht auch weniger religiös oder fromm zu sagen, zu umschreiben, zu entfalten, … anstatt – wie es nach meiner überschaubaren Beobachtung immer wieder geschieht – sie einfach als bekannt vorauszusetzen. Wir reden über Gott – aber fragen wir noch danach, wer oder was das überhaupt ist? Was bedeutet eigentlich christliche Freiheit? Was ändert sich durch Rechtfertigung? Können wir als Theologen darüber noch etwas sagen, ohne gleich die nächsten frommen Variablen auszupacken? Vor diese Frage stellt mich diese Aktion. Und an dieser Frage hängt zumindest nach meiner Ansicht die Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit und vielleicht sogar die Glaubwürdigkeit unserer Verkündigung.
Aber können wir zum Beispiel überhaupt Evangelium als Gottes (ganz „ohne“ kommt man wohl nicht aus) Ja zum Menschen ohne „Jesus“ verkündigen? Das Alte Testament schafft es. Da sind ganze Psalmen voll von Evangelium, ohne „Jesus“ zu erwähnen, denn der war da noch gar nicht geboren. Und: Wir sollten uns ganz bescheiden darüber im Klaren bleiben, dass wir als PredigerInnen mit unseren Predigten (und darum allein geht es in der Aktion) auch nicht das einzige sind, was in der Gemeinde und als Verkündigung geschieht. Auch nicht im Gottesdienst, denn da gibt es noch Schriftlesungen und Lieder, Bilder und Ansagen – wir sollten nicht alles auf die Predigt fokussieren. Den Gottesdienst beginnen wir übrigens (in Freikirchen wohl teilweise nur manchmal) mit einem trinitarischen Votum: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Werden wir dem überhaupt gerecht, wenn wir immer alles explizit auf Jesus zuspitzen? Über wen spricht Jesus eigentlich, wenn er vom Vater oder vom Geist redet? Klar ist, dass die Worte ebenso vorgeladen sind …
Man wird bei der Aktion und wenn man sie kritisiert wohl zu bedenken haben, dass es ja nicht um einen generellen, sondern zeitlich begrenzten Verzicht geht. Und ich behaupte, dass gerade dieser Verzicht immer wieder dazu beitragen kann, befreit vom Ballast des Vorverständnisses der Hörer über die Sache selbst sprechen zu können. Man wird sich den Mund fusselig reden können – wer „Sünde“ hört, assoziiert damit etwas bestimmtes. Es wäre schon hohe oder höchste Kunst, dennoch unbelastet über die Sache sprechen und sie ungebrochen vermitteln zu können – ganz abgesehen davon, dass wir auch als Prediger mit unseren eigenen Assoziationen zu kämpfen haben.
„Denkt jetzt bitte nicht an einen rosa Elefanten!“ – Genau so, wie man sofort an einen rosa Elefanten denken wird, denkt man vermutlich auch bei den „großen Worten“ an das, was man sowieso schon darüber zu wissen meint … da halte ich es für geschickter, einen homiletischen Umweg zu gehen, als mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.
Gerne, Sebastian. Was vielleicht interessant wäre, wenn du definierst, was du unter Evangelium verstehst (wenn du schreisbt, dass das AT es schafft, was vielleicht formal -was den Namen betrifft – richtig sein mag, ich aber sonst nicht teilen kann). Auch wäre spannend wie du in diesem Zusammenhang Kolosser 1,16-20 siehst. Kann ich AT angemesen predigen ohne es auf Jesus hin zu predigen?
1) Evangelium ist die „gute Botschaft“, die dem Menschen als Gottes Zuspruch widerfährt. Das geschieht in einzigartiger, maßgeblicher und unüberbietbarer Weise – nicht aber ausschließlich – in dem einen Wort Gottes: Jesus Christus (Joh 1). Im Evangelium spricht Gott dem Menschen auf vielfältige Weise zu, dass er aus Gnade ohne eigenen Verdienst (Röm 3,23f) bedingungslos angenommen und geliebt ist. Theologisch wird dies mit der Rede von der Rechtfertigung beschrieben. Evangelium hat also sein Zentrum in Gottes Heilshandeln in Jesus Christus und ist im engen Sinne das in Jesus Christus Mensch gewordene Wort von der freien Gnade (daher kommt übrigens ursprünglich das „frei“ in „Freie evangelische Gemeinde“) Gottes. In einem weiten Sinne bezeichnet Evangelium jeden Zuspruch, der sich hermeneutisch von Christus her (also in der Sache selbst womöglich auch ohne Christus) als Zuspruch der Gnade Gottes erfahren und verstehen lässt. Ich verstehe Evangelium also eher als eine systematische Kategorie.
2) Ich habe natürlich keine Zeit für eine ausführliche Exegese von Kol 1,16–20, aber hier ist ja nicht von dem irdischen Menschen Jesus von Nazareth die Rede, sondern vom „Sohn“ als der zweiten Seinsweise („Person“) Gottes. Von daher ist die Stelle kein Beleg dafür, dass ich das AT auf Jesus (!) hin predigen muss.
3) Angemessen ist die Predigt des AT m. E. dann, wenn sie den Text ernst nimmt, ohne ihn (plump) christlich zu vereinnahmen. Das AT auf Jesus zu beziehen ist allerdings etwas anderes, als es auf Jesus hin zu predigen. Apg 8,26ff ist ein schönes Beispiel dafür: Philippus predigt nicht Jesus in das AT hinein als wäre er dort schon vorhanden, sondern erklärt das „Evangelium von Jesus“ vom Gottesknechtslied her, d. h. er lässt es für sich stehen und erklärt von dorther, was in Jesus Christus geschehen ist. Das ist eine recht feine Unterscheidung, aber es lohnt sich, sie zu machen.
Ich muss an das Bonmot von Karl Rahner denken: „Gott sei Dank gibt es nicht, was sich 90 % der Menschen unter Gott vorstellen.“
Andererseits: Ist das Vorverständnis der Hörer immer nur Ballast? Sicher kann niemand von uns beanspruchen, die großen Worte inhaltlich vollständig richtig erfasst zu haben – auch nicht der Prediger. Vor allem bei der Gerechtigkeit und der Sünde empfinde ich das so. Noch schwieriger: Sühne. Auch das AT hat ja anscheinend keine einheitliche Sühnetheologie.
Bei anderen großen Worten finde ich es unkomplizierter (Gehorsam, Trost, Treue). Da wissen die Leute in der Regel schon, um was es geht und ich mache es mir und dem Hörer wahrscheinlich eher schwieriger, wenn ich ganz darauf verzichte.
Es ist sicher auch viel Wert, wenn man auf Vorkenntnisse und in gewisser Weise auch auf Vorverständnisse anknüpfen kann. Immer ganz von 0 anzufangen, ist gar nicht möglich. Doch gerade bei auch alltäglichen Worten wie „Gehorsam, Trost, Treue“ (oder noch schlimmer: „Liebe“) finde ich es komplizierter, weil die Vorstellungen davon noch konkreter sind und leicht auf das Gottesbild übertragen werden können. Das kann (muss nicht) dazu führen, dass wir eine recht merkwürdige Vorstellung von Gott bekommen. „Gehorsam“ ist für mich in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel …
Der zeitweilige Verzicht auf diese Worte kann uns als Prediger wirklich dazu anhalten, die Inhalte, die wir wirklich meinen bzw. die der jeweilige Bibeltext meint, genauer zu benennen. Das ist wohl auch der gewünschte Effekt.
Ein Nachteil der „großen Worte“ ist ja auch, dass die selbst in der Bibel nicht immer genau die gleiche Bedeutung haben. Da gehen wir z.B. mit einem paulinisch geprägten Vorverständnis von der zugeeigneten Gerechtigkeit an die „bessere Gerechtigkeit“ im Mt ran, obwohl da doch deutlich mehr das konkrete Handeln im Blick ist, als bei Paulus.
Ich denke, dass wir generell Erklärungs- und Gesprächsbedarf darüber haben, was Freiheit, Gerechtigkeit usw. bedeuten. Deshalb ist mir diese Aktion dann zu wenig, wenn diese Gespräche ausbleiben.
Was will man da noch sagen. Dem kann ich voll und ganz zustimmen und sehe den „Wortverzicht“ gerade als eine Gesprächseröffnung.
Auf der einen Seite stehe ich hinter dieser Aktion. Ich möchte mich selber herausfordern in dieser Zeit die „großen Worte“, die ich in der Predigt verwende, für mich inhaltlich zu klären und den HörerInnen dann ggf. nur noch meine inhaltliche Klärung anstatt der großen Worte zu präsentieren. Auf der anderen Seite bin ich aber der Meinung, dass wir gerade auch in der Predigt die Chance haben, in den großen Worte wie Liebe, Treue, Trost und auch Gott, aus christlicher Perspektive eine tiefere Dimension zu entdecken und diese den HörerInnen aufzuzeigen. Für mich steht also nicht eine herausfordernde Aktion im Vordergrund sondern die Fragen, Zweifeln und inflationären Wortgebräuche meiner HörerInnen. Habe ich also das Gefühl, dass das Wort Treue in dem jeweiligen Predigt- und Gemeindekontext differenziert gebraucht wird, kann ich es verwenden, um damit ein Gottesbild (und vielleicht wird dann auf das Wort „Gott“ verzichtet) zu malen, das geprägt ist von tiefer Treue. Mein Plädoyer geht also dahin, dass wir die großen Worte reflektieren, entscheiden, welche durchaus differenziert gesehen werden und diese dann nutzen um andere große Worte (neu) zu erhellen. Diese Aufgabe stellt sich für mich allerdings nicht nur von Aschermittwoch bis Ostersonntag sondern immer, wenn ich auf der Kanzel stehe.