Vom „Ja“ auf dem Amt und dem „Amen“ in der Kirche

Ich stehe in einem Zimmer des Siegener Rathauses. Während meine Frau schon bei der Unterschrift als Trauzeugin ist, hänge ich gedanklich noch bei dem performativen Sprechakt, der soeben vollzogen wurde.

Bei dem was?  Ein performativer Sprechakt bezeichnet in der Sprachwissenschaft den Fachbegriff für eine sprachliche Äußerung, mit der die Wirklichkeit verändert wird, bei der eine performance statt findet. Wenn Braut und Bräutigam auf die Frage der Standesbeamtin beide mit „Ja“ antworten, verändert sich ihre Wirklichkeit. Sie sind nun verheiratet.  Mit den Unterschriften wird anschließend formal-juristisch nachvollzogen, was vorher durch gesprochene Worte wirklich wurde.

Das Beispiel der Eheschließung ist ein positives. Doch wenn ein Volk dem anderen den Krieg erklärt, performt es auch. Ab diesem Zeitpunkt herrscht Krieg. Auch wenn einer dem anderen androht: „Wenn ich dich in die Finger kriege, mach ich dich kalt“ verändert das die Wirklichkeit, der, dem die Drohung galt, lebt nun vermutlich in Angst. Sprache schafft und verändert also die Wirklichkeit.

Während ich also bei dieser Trauung stehe, mich über das hübsche und glückliche Paar freue, mache ich mir Gedanken über Sprache, die die Wirklichkeit verändert.

Ich stelle mir eine Frage: ist mir bewusst, dass sich die Wirklichkeit verändert durch das, was ich sage? Wenn ich der Mutter mit dem Kind im Einkaufswagen sage, sie dürfe gerne vor gehen, verändert sich ihre Wirklichkeit. Wenn ich einem Freund sage, dass ich froh sei, ihn zu haben, verändert das unsere Freundschaft.

So ist es auch in der Kirche. Wenn die Pastorin der Gemeinde das „Ja-Gottes“ zusagt, verändert das die Wirklichkeit. Sie verändert sich, weil Gott in unser Leben geholt wird, seine Wirklichkeit unsere Wirklichkeit berührt. Gott kommt uns nahe. Das klingt nach Advent und das ist es auch. Denn Gott hat schon vor geraumer Zeit Wirklichkeit geschaffen, um uns nahe zu kommen: „Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen. “ (Lk 1,3Randnotiz: An dieser Stelle biete ich jedem, der diesen Vers als Trauspruch wählt, eine Traupredigt darüber an…)

Weil Gott selbst die Wirklichkeit von uns Menschen durch ein kleines Baby in einer unbedeutenden orientalischen Gegend verändert, können wir unsere Wirklichkeit verändern, indem wir genau davon sprechen. Und das tue ich: Gott sagt „Ja“ zu dir!

Würde Gott mit uns im Standesamt stehen, käme sein „Ja“ schon lange bevor die Standesbeamtin die Frage gestellt hätte. Unser „Amen“ dazu hilft uns dabei, diese veränderte Wirklichkeit zu vergegenwärtigen.

Nach all diesen Gedanken finde ich mich mit einem Glas Sekt vor. Und schon folgt der nächste performative Sprechakt: „Auf euer Wohl…!“

 

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