Leben TROTZ Sterben – Ostern in Geschichten erzählen

Meine erste Osterpredigt (Teil 3 einer Predigtreihe / Teil 1 / Teil 2) beschäftigte sich mit dem ursprünglichen Schluss des Markusevangeliums . Ich versuche darin, Auferweckung „meta-narrativ“ einzuholen – d. h. nicht indem ich selbst erzähle, sondern indem ich Auferweckung selbst als eine fortlaufende Erzählung zur Sprache bringe. Hinweise zu meiner Textauslegung gibt es hier, eine Audioaufnahme in Kürze hier. Freue mich über Kommentare.

Einführung

Ich bin ein großer Serienfan. Und es gibt zwei Dinge, die ich in dieser Hinsicht nur schwer ertragen kann: Erstens Spoiler – also eine unerwünschte Vorabinformation über den weiteren Verlauf einer Serie (wer stirbt, wer heiratet, usw.) und zweitens Cliffhanger. Ihr seht gleich, was das ist.

Eine meiner Lieblingsserien ist „The Big Bang Theory“, eine äußerst witzige Comedyserie über vier hochintelligente und ebenso weltfremde Naturwissenschaftler und ihre Freundinnen. Einer der Hauptcharaktere ist Leonard Hofstadter (3. von rechts) der über die gesamte Serie hinweg in einer abwechslungsreichen Beziehung oder Nicht-Beziehung zu seiner Nachbarin Penny (3. von links) steht – ein Hauptthema der Serie. Zum Ende der zweiten Staffel wollen Leonard und die drei anderen für drei Monate auf große Nordpolexpedition gehen, was die zu diesem Zeitpunkt nicht ganz definierbare Beziehung zwischen Leonard und Penny natürlich extrem herausfordert. Wir schauen uns mal das Ende dieser Staffel an.

 

(Spoileralarm! Es folgte ein Ausschnitt aus dem Staffelende. Penny und Leonard stehen gemeinsam im Flur und verabschieden sich. Am Ende bleibt Penny allein in ihrer Wohnung zurück und sagt zu sich selbst, sie wolle nicht, dass Leonard gehe …)

 

Das ist ein Cliffhanger, ein offenes Ende, es muss dringend irgendwie weitergehen. Ich will kurz beschreiben, was da bei mir passiert:

„Was? Hier wollt ihr aufhören??? Ich soll jetzt Tage, Wochen, Monate darauf warten um zu erfahren, wie es mit Penny und Leonard weitergeht? Aaaahhhhhhh …!“

Im Idealfall gibt es die nächste Episode schon und dann kommt es nicht selten vor, dass ich länger wach bleibe, als es vernünftig wäre … Auf die Gefahr hin, dass ich damit alleine dastehe: Wer kennt solche Film- oder Serienmomente? Mal kurz Hand hoch!

Der Text für heute Morgen müsste ähnliche Reaktionen hervorrufen. Er hat das ganz offensichtlich von Anfang an getan, denn schon bald nach seinem Bekanntwerden hat man ihn schnell um ein „vernünftiges“ Ende erweitert. Aber ursprünglich endet das Markusevangelium tatsächlich in Kapitel 16 mit folgender Erzählung – und um die Spannung etwas zu halten, gehen wir wie letzte Woche (und doch ganz anders) Schritt für Schritt vorwärts. Wir versuchen mal alle Spoiler auszublenden, d.h. so zu tun, als wüssten wir nicht, wie es weitergeht. Denn wenn man sich diesen Text mal so anschaut, dann hat er etwas sehr serienhaftes, spannt einen ganz dramatischen Bogen und bereitet dieses Cliffhangergefühl quasi von Anfang an vor.

 

1 Und als der Sabbat vorbei war, kauften Maria aus Magdala und Maria, die [Mutter] von Jakobus und Salome wohlriechende Öle, um zu ihm (Jesus) zu gehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen sehr früh morgens am ersten Tag der Woche zum Grab, als die Sonne aufging.

 

Da sind diese Frauen, die miterlebt hatten, wie Jesus hingerichtet wurde. Sie waren bei seinem Begräbnis dabei und wollen ihm jetzt nach dem jüdischen Ruhetag die letzte Ehre erweisen. Das mutet schon merkwürdig an, weil die ganze Bestattungsprozedur ja schon längst erledigt war. Das weiß man, wenn man die zwei Kapitel vorher aufmerksam gelesen hat. Die Salbung ist schon längst passiert und das Begräbnis abgeschlossen. Darum kann es also eigentlich gar nicht gehen. Das Anliegen ist bloß Mittel zum Zweck, um eine andere Aussage vorzubereiten. Denn die ganze Geschichte dient dazu, einen sehr merkwürdigen Gedanken weiterzugeben. Ostern in Geschichten erzählen.

 

3 Und sie sagten zueinander: „Wer rollt uns den Stein vorm Grabeingang weg?“ 4 Und als sie hinschauten sahen sie, dass der Stein [schon] weggerollt war – er war doch so groß!

Dann die Sache mit dem Stein. Ergibt auch nicht so richtig Sinn. Erst erwähnt der Text extra, dass sich die Frauen über dieses „so große“ Problem den Kopf zerbrechen, direkt anschließend löst sich das Problem einfach in Luft auf. „Ach, schau einer an, Stein weg.“ Und der Text macht sich quasi selbst überflüssig – war die Information jetzt so wichtig? Oder was passiert hier? Um den Stein selbst geht’s wohl nicht. Auch diese beiden Verse sind vor allem (um nicht zu sagen: ausschließlich) Vorbereitung. Sie deuten etwas an, ohne es zu sagen. Sie erzeugen Spannung: Achtung, hier bahnt sich etwas Besonderes an. Hast du vielleicht auch den Eindruck, dass diese steinige Erzählung eigentlich etwas viel Größeres sagen und unterstützen will? Ostern in Geschichten erzählen.

 

5 Und als sie in das Grab hineingingen, sahen sie rechts einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war – und sie waren ganz entsetzt.

Noch mehr Spannung. Die Geschichte kommt endlich dort an, wo sie doch die ganze Zeit über hin wollte. Gewissermaßen zu dem Punkt, wo Leonard und Penny endlich zusammenkommen. Zu dem Punkt, wo The Mentalist Patrick Jane endlich Red John enttarnt, wo man endlich erfährt, ob der Kreisel von Dominic Cobb aus Inception am Ende fällt oder sich weiter dreht … zu dem Punkt, an dem die Geschichte endlich enthüllt, was sie eigentlich schon die ganze Zeit sagen will. Aber – argh! – sie sagt es immer noch nicht. Da sitzt ein weißer Mann im Weg und erschrickt ahnungslose Frauen. Oder so ähnlich. Spannender geht’s doch nicht, der Mann wird doch jetzt wohl hoffentlich die Lösung bringen … und tatsächlich:

6 Doch er sagte zu ihnen: „Entsetzt euch nicht! Jesus sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten – er wurde auferweckt! Er ist nicht hier! Seht die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte.

Naa eeendlich! Er wurde auferweckt. Wir haben es doch ehrlich gesagt die ganze Zeit geahnt, oder? Auch so ein Serienmoment: Bei schlechten Serien weiß man meist schon von Anfang an, worauf es hinausläuft, wie der Höhepunkt aussieht. Ganz schlimm sind auch die romantischen Sonntagabendschnulzen auf ZDF – nicht alles, dass man vorab eingeblendet bekommt, wie die Pointe sein wird.

Aber dann gibt’s da auch die Höhepunkte und Pointen, die man erstmal nicht versteht und sich fragt: „Hä? Was war das denn?“ Ein Tatort-Täter, dessen Motiv man nicht versteht. Eine Serienheldin, die sich plötzlich ganz irritierend verhält. Momente, in denen man während des Abspanns noch grübelt. Nach einer Erklärung sucht. Auf dem Heimweg vom Kino (oder auf dem Weg ins Bett …) noch diskutiert. Und letztlich nicht so ganz Antwort bekommt.

Unser Text hat beide Elemente: eine erwartete Unverständlichkeit. Man ahnt schon Großes, und doch bleibt es zu groß, es so ganz zu begreifen.

Er wurde auferweckt!“ Nicht irgendwer, sondern der, den die Frauen haben sterben sehen. Er, der Mensch, der ein so faszinierendes Leben gelebt hat. Er, der so begeistert und begeisternd von Gott geredet hat. Er, der so erschreckend radikal die Konsequenzen seiner Überzeugungen durchgelitten hat. Der wurde auferweckt. Ins Recht gesetzt. Bestätigt. Er, der durch sein Reden und Tun so vielen eine neue Lebensgeschichte ermöglicht hat. Ostern in Geschichten erzählen.

 

7 Aber geht! Sagt seinen Schülern und Petrus, dass er euch nach Galiläa vorausgeht. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“8 Und nachdem sie herausgekommen waren, flohen sie vom Grab, denn sie überkam Zittern und Ratlosigkeit. Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.

Damit fällt der Vorhang der Geschichte, die „Markus“ (wer immer das ist) uns erzählt. Nicht nur das – wir werden auch aus dem Kinosaal gejagt. Vom Sofa gescheucht – mit einem Cliffhanger, einem offene Ende.

Und doch muss es ja irgendwie weitergehen. Darauf sind Cliffhanger doch angelegt – auf eine Fortsetzung. Aber wo ist die Fortsetzung, wenn das Buch hier endet? Natürlich: Auch diese offene Geschichte ist angelegt auf eine Fortsetzung – und zwar in deiner Geschichte! Ostern in deiner Geschichte erzählen.

Der Text malt das wunderbar gegensätzlich aus, so gegensätzlich wie unsere Lebensgeschichten sich nun mal schreiben.

Wir lesen einerseits: „Sie fürchteten sich.“ — Ich verstehe das, denn Auferweckung ist keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr eine Unmöglichkeit. Und die soll ich weitersagen? Was soll ich denn sagen? Was soll ich mir denn darunter vorstellen? Was antworte ich denn, wenn mich jemand fragt, was ich da eigentlich glaube? Das kann schon Angst machen. Fragen machen mir manchmal Angst. Prüfungsfragen. Fangfragen. Glaubensfragen. Lebensfragen. Da bin ich gefordert zu antworten. Bei allem Gestammel komme ich nicht drum herum, auch mal Antworten zu geben, zittrige Antworten trotz aller Ratlosigkeit vielleicht – manchmal ist das Antworten vielleicht sogar schmerzhafter als das Fragen, weil wir es müssen, obwohl wir es eigentlich nicht können, denn – wie Karl Barth 1919 in seiner Osterpredigt sagte:

„Es hat wohl jeder Mensch Zeiten, wo er sich stößt an den Wundergeschichten der Bibel und besonders an der Ostergeschichte von der Auferstehung Jesu von den Toten. Es muß auch immer etwas in uns übrig bleiben, das sich daran stößt. Es wäre gar nicht gut, wenn wir uns nicht stoßen würden daran; denn das wäre nicht ein Zeichen von Glauben, sondern nur ein Zeichen davon, daß wir noch nicht gemerkt [haben], um was es sich beim Glauben handelt. Der Zweifel ist der bessere Weg zur Erkenntnis Gottes als das blinde, sichere, begeisterte Annehmen.[1]

Und ich glaube, zweifeln und fürchten sind recht nah verwandt.

 

Andererseits lesen wir im Text, und ich vermute darin eine wichtige Antwort: „Ihr werdet ihn sehen!“ — Auferweckung ist nämlich keine bloße Tatsachenbehauptung, sondern sie erzählt davon, wie du Gott in deinem Leben erfährst. Wie Jesus selbst durch seine Geschichte in deiner Geschichte lebendig wird. Sie erzählt davon, wie deine Lebensgeschichte und die lebendige Jesusgeschichte sich begegnen. Wie dir darin dieser geschundene Jesus selbst begegnet.

Wenn du dann genötigt bist, zu antworten, dann kann deine Antwort doch von dem erzählen, wie Jesus in deinem Leben lebendig ist. Wie Gott dir in Jesus gut tut. Kann davon erzählen, wie Gemeinde dir hilft, die Fragen oder viel zu einfachen Antworten in deiner Geschichte zu ertragen und zu bearbeiten. Deine Geschichte kann doch Ostern erzählen! Davon, wie du ‚ihn gesehen’ hast. Und ich bin überzeugt davon: Du hast ihn gesehen, oder hast zumindest eine Ahnung davon und Sehnsucht danach, was  du sehen könntest – sonst wärst du vermutlich nicht hier.

Ich finde es ganz spannend, dass von den Frauen nicht verlangt wird, etwas zu behaupten, was ihrer Erfahrung widerspricht. Sie sollen den anderen enttäuschten Schülerinnen und Schülern von Jesus nicht erzählen, dass er auferweckt wurde! – sie sollen (ich sage das mal mit meinen Worten:) dazu einladen, diesem Auferweckten selbst zu begegnen. Sich von seiner Liebesgeschichte ansprechen, von seiner Begeisterung für die Menschen (vor allem die am Rand!) anstecken zu lassen. Worte allein überzeugen oft nicht (Thomas! Joh 20,24–29). Aber Geschichten können begeistern. Eure Geschichten. Deine Geschichte.

 

Ich will der Ehrlichkeit halber noch etwas anmerken: Das klingt vielleicht ganz schön und in der Theorie bin ich davon wirklich überzeugt, vielleicht findest du das sogar überzeugend. Und doch fällt es mir oft nicht leicht, in meiner Geschichte Gott zu entdecken. Wenn ich an Brüssel denke fällt es mir verdammt schwer, in der Geschichte unserer Welt Gott zu ‚sehen’. Vielleicht geht es dir ähnlich. Ich vermute, weil wir manchmal anderes erwarten. Uns Gott heimlich doch am Kreuz vorbei als den großen Zauberer denken, der nur mit dem Finger schnipsen müsste … aber dieser Gott ist am Kreuz verendet. Ostern fordert uns jedes Jahr aufs Neue heraus, Gott und das Kreuz zusammen zu denken. Gott in der scheinbaren Gottverlassenheit zu suchen. Gott durch das dunkelste Leiden hindurch zu finden. Und ich glaube tatsächlich, dass wir es ganz, ganz, langsam lernen können, Gott in unseren Geschichten zu entdecken, zumindest ein stückweit.

Bei meiner Ordination wurde meine Aufgabe als Pastor so beschrieben: Ein Bild von Jesus Christus vor Augen malen. Für heute Morgen möchte ich das etwas umformulieren und (vielleicht etwas zu blumig) sagen: Lasst uns gemeinsam ein Bild malen von unserem Leben – in den Farben Jesu Christi. Lasst uns gemeinsam ein Lied singen von unserem Dasein – in der Tonart Jesus Christus. Lasst uns gemeinsam Ostern in unseren Geschichten erzählen!

 

Ich schließe mit geliehenen (und etwas aus dem Kontext gerissenen) Worten des jüdischen Philosophen Hans Jonas: „Meine Damen und Herren! All dies ist Gestammel … ein Stammeln vor dem ewigen Geheimnis.“[2]                  Amen.

 

Anmerkungen

[1] Karl Barth, Predigten 1919, Zürich 2003, 157. Kursiv von mir.

[2] Hans Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz, suhrkamp 1984, 48.

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