Trost TROTZ Trübsal – Ostern im Herzen fühlen

Diese Predigt ist Teil eins der Predigtreihe zu Ostern in der FeG Fischbacherberg – zugleich meine „Antrittspredigt“ als Pastor der Gemeinde. Einige Notizen zum Predigttext 2Kor 1,3–11 gibt es hier. Eine Audioaufnahme kann kann hier heruntergeladen werden. Ich freue mich über Rückmeldungen.

Zur Predigtreihe

Drei Wochen vor Ostern schon über Ostern zu sprechen steht ein wenig in der gleichen Gefahr wie Regale voller Schokoosterhasen im Januar und Nikoläuse Ende August: es kann ziemlich nerven, weil eben noch nicht Ostern ist. Zumindest manche Menschen. Jedes Jahr geht aufs Neue ein Aufschrei durchs Netz „Jetzt schon Ostersüßigkeiten? Das wird auch immer früher …“

Mit Ostern selbst soll es uns bitte nicht so gehen. Es soll etwas besonderes für diesen einen Tag bleiben, und doch ist es das tragende Fundament für alles, was das ganze Jahr über im Christentum passiert!

Genau genommen wird es auch gar keine Predigtreihe zu Ostern, sondern eine Predigtreihe auf Ostern hin. Weil ich fest davon überzeugt bin, dass Ostern an sich, als dieser eine Feiertag, zwar etwas besonderes ist – dass wir an diesem Tag aber vor allem eine Kraft feiern, auf die wir das ganze Jahr über vertrauen, die wir erleben, auf die wir hoffen – und die wir manchmal schmerzlich vermissen.

Also, eigentlich keine Predigtreihe zu Ostern, sondern zur Osterkraft. In drei Teilen:

 

  1. Trost trotz Trübsal: Ostern im Herzen fühlen
  2. Licht trotz Dunkel: Ostern im Glauben denken
  3. Leben trotz Sterben: Ostern in Geschichten erzählen

 

Los geht’s!

Predigttext

3 Gepriesen ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in all unserer Bedrängnis, so dass wir die trösten können, die in aller [möglichen] Bedrängnis sind – mit dem Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden.

5 Denn wie wir überschüttet werden mit den Leiden Christi, so werden wir durch Christus auch überschüttet mit Trost. 6 Werden wir aber bedrängt, so passiert das zu eurem Trost und eurer Rettung; werden wir getröstet, so passiert das zu eurem Trost, der wirksam wird in einer Geduld für dieselben Leiden, die auch wir erleiden. 7 Und unsere Hoffnung für euch ist unerschütterlich, weil wir wissen, dass wie ihr an den Leiden teilhabt, so auch am Trost.

8 Denn wir wollen euch nicht in Unkenntnis lassen, liebe Brüder und Schwestern, über unsere Bedrängnis, die in der [Region] Asia geschehen ist: Dass wir über alle Maßen – über das Vermögen – niedergedrückt wurden, sodass wir sogar am Leben verzweifelten. 9 Aber wir hatten bei uns selbst das Todesurteil schon erhalten, damit wir nicht auf uns selbst vertrauen, sondern auf den Gott, der die Toten auferweckt.

10 Aus solch großer Todes[not] hat er uns errettet und wird uns erretten; der, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben, wird auch wieder retten. 11 Und auch ihr helft uns mit eurer Fürbitte, damit von vielen Personen für das uns gegebene Gnadengeschenk  durch Viele [Menschen] Dank gesagt wird –stellvertretend für uns.

Einleitung

Ostern hat etwas Strahlendes, mit seinen bunten Schokoeiern, dem blühenden Leben, das Ganze dann noch im Frühling, wo die kahle Natur (in der Regel) wieder anfängt aufzublühen. Gestern Morgen hab ich zum ersten mal für dieses Jahr die Vögel singen hören. Auch bei manchen Christ*innen findet man manche österliche Heiterkeit: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Alles ist super! “ — Äh … nein. Da stimmt etwas nicht. Auferweckt – ja. Aber „Alles ist super“? Nein. Ist es nicht. Ostern beginnt nicht auf Wolke 7. Deswegen beginnt auch unsere Predigtreihe nicht dort. Und sie heißt auch nicht „Das große ‚Alles ist super’“ – sondern: „Das große TROTZ“.

Ich habe gelesen, dass man den Begriff „Trotz“ in der Psychologie im Gegensatz zu früher heute kaum noch verwendet, weil er zu stark wertend ist. Dem würde ich uneingeschränkt zustimmen, denn die erste Reaktion auf das Wort dürfte tatsächlich eine einigermaßen negative sein: Trotzphase, Trotzköpfe, trotzig sein – das ist eher mit vielen Tränen und Geschrei verbunden. Vielleicht zucken Eltern kurz auf, wenn sie an die Trotzphase ihrer Kinder denken. Vielleicht denkst du an den Sturkopf auf der Arbeit. Vielleicht an den letzten Zoff mit einem Freund oder einer Freundin, der darin endete, dass eine*r von euch aus Trotz den Raum verlassen hat …

 

Wikipedia definiert:

 

„Trotz ist ein Verhalten des Widerstands, welches sich in hartnäckigem, oft auch von heftigen Gefühlsausbrüchen begleitetem Beharren auf einer Meinung oder einem Recht äußert.“

 

Klingt erstmal nicht so einladend, finde ich. Beim zweiten oder dritten Lesen fiel mir auf, dass es doch genau darum geht, im christlichen Glauben, an Ostern … ich komme am Ende darauf zurück. Wir schauen uns zunächst die drei Teile des Predigttitels an: Trübsal, Trost und das große TROTZ.

Trübsal

Trost beginnt mit Tränen. Und von solchen Tränen spricht Paulus in unserem Text. Er deutet zwar vieles nur an und vieles bleibt offen, aber das gibt uns Raum, uns selbst in diesen Text einzufinden.

Wir lesen von Bedrängnis, die Lutherbibel übersetzt mit dem – zu Unrecht – nicht mehr so ganz alltäglichen Wort „Trübsal“. Beim Hören mag uns so manches durch den Kopf gehen, denn es gibt so vieles, was uns bedrängt: Welten um uns herum mit all dem, was sie an furchteinflößendem zu bieten haben. Ich deute nur mal drei solcher Welten an:

Vielleicht ist es die Arbeitswelt. Ihre Überstunden, die mir über den Kopf wachsen. Ihre verschlossenen Türen, weil für mich gar kein Platz ist. Oder ich fühle mich nicht wohl, da wo ich bin, muss um jeden Zentimeter kämpfen, um jedes Bisschen Anerkennung ringen. Das könnte bei Paulus hier durchaus mitschwingen, denn auch er muss im zweiten Korintherbrief um die Anerkennung als Apostel kämpfen. Darunter leiden Menschen, wenn ihnen die Anerkennung verwehrt bleibt, die ihnen zusteht. Darunter litt Jesus, weil Menschen nicht anerkennen wollten, dass es einen Sinn ergibt, was er gesagt und gemacht hat.

Vielleicht wird mir auch meine Umwelt sehr bedrängend. Mal im ganz einfachen Sinn von Umwelt als Natur. Mein Dasein als ein natürliches, biologisches Wesen ist bedrängt von Krankheit, mangelnder Versorgung, Unfällen. Wie schnell es mit uns vorbei sein kann, wird uns immer wieder bewusst – wenn auch hoffentlich nicht ständig. Von Krankheit wusste wahrscheinlich auch Paulus – zumindest nimmt man an, dass er hier im Text auch von einer chronischen Krankheit spricht, die ihn selbst bedrängt. „Über alle Maßen – über das Vermögen“. Nicht nur „es geht mir nicht gut“, sondern: „Ich kann nicht mehr!“. Manches kann uns derart zusetzen, dass wir am Leben verzweifeln. Und manche Krankheit scheint nur darauf aus zu sein, uns am Leben verzweifeln zu lassen.

Zu guter (eher schlechter) Letzt kann uns auch die Gemeindewelt bedrängen. Ich kann darunter leiden, was Gemeindemenschen alles von mir fordern, weil ich mir irgendwann selbst einbilde, dass Gott das von mir fordert. Das kann ganz schön bedrängend sein, manchmal sogar ungesund und krankhaft bedrängend. Von allen Seiten. Dann fehlt mir die Luft zum Atmen, ich inhaliere nur die übriggebliebenen Dämpfe vorheriger Generationen. In unserer Gemeinde soll das anders sein – aber eben genau darum, weil viele von uns erlebt haben, was es heißt, vom eigenen Glauben erdrückt zu werden. Von einem Gottesbild bedrückt zu werden, das mir eher den Hals zuschnürt, als dass es mich tröstend in den Arm nimmt.

Trost

Das klingt schon in den wenigen Worten nach einer bitteren Bilanz. Das gebe ich zu. Aber „Das große TROTZ“ beginnt wie gesagt mit Tränen, so wie Auferweckung immer mit dem Kreuz beginnt. Ich wage zu behaupten: Wer das vergisst, kann Ostern nicht mehr ernst nehmen. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz schrieb einmal: „Wer die Botschaft von der Auferweckung des Christus so hört, daß in ihr der Schrei des Gekreuzigten unhörbar geworden ist, der hört nicht das Evangelium, sondern einen Mythos.“[1]

Und so ist auch das Thema von heute Morgen eines, das ausschließlich vor dem Hintergrund einer so bitteren Bilanz funktioniert, wie ich sie eben gezeichnet habe: Trost gibt es nur in der Trübsal, TROTZ Trübsal. Man stelle sich einmal folgende Situation vor: Deutschland ist gerade Handballeuropameister geworden, oder die Sportfreunde Siegen sind gerade in die Regionalliga aufgestiegen(oder etwas ähnlich Erfreuliches) und du läufst jubelnd mit den anderen Fans durch die Stadt, ausgelassene Stimmung, fröhliches Feiern. Plötzlich kommt ein Mensch zu dir, legt seinen Arm um dich, schaut dich mitleidig an und sagt einfühlsam: „Alles wird gut!“ oder „Wird schon wieder!“ oder irgendeinen anderen eher verlegenen Trostspruch. Ziemlich skurril! Denn Trost gehört nicht in die Freude, sondern ins Leid.

Deshalb ist unser Text aus dem 2. Korintherbrief vor allem und zuerst ein Text für die Leidenden. Ein Text, der das große TROTZ mitten in die Überflüssigkeiten des Lebens hinein spricht. Ein Text, der in den Tiefpunkten meiner Geschichte eine Wendung erhofft und sehnlich erwartet. Ein Angebot der Hoffnung im unüberschaubaren Dickicht der Dinge, die mich bedrängen. Diese Hoffnung lautet: „Du wirst getröstet!“

 

So für sich betrachtet wäre das recht plump und nicht viel besser als ein „Alles wird gut!“ oder „Wird schon wieder!“ Aber Paulus breitet das vor einem weiteren Horizont aus, der (wenn man so will) zwei Enden hat: die Erfahrung und die Hoffnung.

Die Sache mit der Erfahrung ist dabei noch einigermaßen einfach: Was einmal war, kann auch wieder sein. Wenn ich Trost einmal erlebt habe, dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass es einen Ausweg gibt. Ich habe erlebt, dass es vom Tiefpunkt an bergauf ging. Du hast vielleicht erlebt, dass selbst die auswegloseste Situation doch nicht so ohne Ausweg war, wie es schien. Und wir haben darin einen Trost erlebt, den wir uns selbst niemals geben könnten. Genau darum geht es. Vor allem wenn Paulus so deutlich macht, dass die Last auf seinen Schultern so über die Maßen und unerträglich groß war. Das ist kein „Ach mir geht’s so schlecht“ – und wenn es noch so wahr wäre. Es geht hier um das TROTZ! Obwohl es so mies aussah, hat Paulus einen unerwarteten Trost erfahren. Eine Rettung. Leider wissen wir nicht, was er meint, wie er Trost erfahren hat. Aber wir wissen, dass er ihn erlebt hat.

Er spricht von einem sicheren Todesurteil – alles Menschenmögliche ist ausgeschöpft, alles versucht, ich selbst bin mit meinen Kräften am Ende. Genau hier liegt der Wendepunkt – denn erst wenn wir am Ende sind, beginnt Gott. Seine Kraft ist in der Schwäche wirksam (2Kor 12,9). Aber Vorsicht: Damit meine ich nicht, dass wir erst am Boden ankommen müssen, damit Gott wirken kann. Und erst recht meine ich nicht, dass Gott uns zu Boden drückt, damit er wirken kann. Vielmehr: Erst wo ich mir klar darüber werde, dass mein Tun allein gar nichts bewirkt (Joh 15), wird mir ebenso klar, wie sehr ich auf Gott angewiesen bin. Was immer mich auch tröstet, das ist göttlich, das kommt von Gott. Es lässt Gott an meine Seite treten. Denn: Gott ist der Vater des Erbarmens, der Gott allen Trostes. Es gibt keinen Unterschied zwischen einer menschlichen Umarmung und göttlichem Trösten. Ich glaube, dass unser Text genau dafür die Augen öffnen will, den Trost den wir (woher auch immer) erfahren als das Trösten Gottes zu verstehen. Weil ich das nicht selbst machen kann. Weil keine noch so lieb gemeinter Besuch mir garantiert, dass es tröstet. Dass mich etwas tröstet, bleibt Geschenk. Ein Geschenk des Himmels.

 

Aus solcher Erfahrung wächst Hoffnung. Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass das ein Grundpfeiler des Glaubens überhaupt ist, vielleicht sogar sein muss. Wir hoffen nicht aufgrund bloßer Behauptung. Wir hoffen auf Trost, weil wir getröstet wurden – und weil andere uns glaubhaft bezeugen, dass sie getröstet wurden.[2] Worauf sich diese Hoffnung eigentlich gründet, macht Paulus ganz am Anfang des Abschnitts deutlich: Gelobt ist Gott! Ich glaube an die Kraft des Trostes, weil sie mir als eine Kraft des lebendigen Gottes, des lebendig machenden Gottes begegnet. Trösten ist eine Weise, wie Gott in unserer Welt wirksam wird, heilsam, „Balsam“ auf den brennenden Wunden unserer Lebensgeschichten.

Das große TROTZ

Darin liegt das große TROTZ. Noch einmal Wikipedia:

 

„Trotz ist ein Verhalten des Widerstands, welches sich in hartnäckigem, oft auch von heftigen Gefühlsausbrüchen begleitetem Beharren auf einer Meinung oder einem Recht äußert.“

 

Ersetzen wir „Meinung“ und „Recht“ durch „Erfahrung“ und „Hoffnung“ – und es wird Ostern. Ostern als der hartnäckige Widerstand gegen tödlichen Hass und Gewalt, der belebende Gefühlsausbruch gegen die Wunden, die sich in mich hineinfressen. Das Beharren darauf, dass es TROTZ aller Trübsal, TROTZ allen Leidens, TROTZ aller Bedrängnis eine Kraft gibt, die tröstet. Dann wird es Ostern. Oder besser gesagt: Wir spüren schon die frische Luft von Ostern in den Haaren. Wir fühlen das Kribbeln der Auferweckung in den Zehen. Wir ahnen etwas von dem, was mit uns werden kann, wenn Gott tröstet.

 

Das tut Gott nicht mit dem Zauberstab – sonst könnte und müsste ich zu den Niedergeschlagenen sagen: „Ich brauch’ dich nicht trösten, das macht ja Gott.“ Da stellen sich mir die Nackenhaare auf. Und deshalb ist der Text mehr als nur eine Trosthoffnung für die Leidenden. Er ist – so lese ich ihn jedenfalls – gleichzeitig die Herausforderung an diejenigen, die einigermaßen bei Kräften sind, zu trösten. Das Wie? lässt der Text offen – und unsere Fantasie wird gefragt. Vielleicht sogar angeregt. Das kann mit einem Gebet für die beginnen, die im Elend stecken. Das kann ein kurzes Nachfragen sein. Das kann ein Stückchen Sahnetorte sein – keine Ahnung. Oder es sind Menschen selbst, die in einer Situation des eigenen Leidens eine solche Zuversicht und Hoffnung ausstrahlen, dass es ansteckt. Das nimmt das Leid nicht einfach weg – sagt auch der Text nicht! – sondern schenkt Geduld, Kraft zum Durchhalten.

In jedem Fall kann soetwas zu diesem großen TROTZ werden, zur Rettung aus der Abwärtsspirale des Leidens, indem wir im Trost unserer Mitmenschen das Trösten Gottes entdecken. Des Gottes, der die Toten auferweckt! (V. 9) Sollte der nicht auch die Bedrängten durch uns trösten können? Ich will darauf vertrauen – TROTZ allem.

Amen.

 

Anmerkungen

[1] Johann Baptist Metz, Theologie als Theodizee?, in: Oelmüller, Willi, Theodizee – Gott vor Gericht?, München 1990, 105.

[2] Die bloße Sehnsucht nach Trost unterscheidet nicht zwischen Menschen, die glauben und solchen, die es nicht tun.

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