Oder: Was der Volksmund lehrt, ist manchmal verkehrt.
Geben ist seliger als nehmen. Das kennen wir. Wir kennen es als Aufforderung und Mahnwort, Gutes zu tun. Zu geben. Doch das müssen wir differenzieren, denn streng genommen stimmt es so nicht. Aus theologischer Perspektive ist es falsch. Warum?
Wer könnte bei dieser Frage besser her halten als Dr. Martin Luther, ihr wisst schon, der mit dem Tintenfass. Die Frage, die ihn plagte, war, wie bekomme ich einen gerechten Gott. Durch Geben? Nein. Durch Gutes tun? Nein! Durch Nehmen? Ja! Durch Empfangen? Ja!
Ich zitiere ihn:
„Wohlan, mein Gott hat mir unwürdigem, verdammten Menschen ohne alles Verdienst, rein umsonst und aus lauter Barmherzigkeit durch und in Christus einen vollkommenen Reichtum aller Rechtschaffenheit und Seligkeit geschenkt, so dass ich künftig weiter nichts mehr nötig habe als zu glauben, es sei so.“
Wir sehen: Nicht Geben macht selig, sondern nehmen. Paradox. Was für eine Wendung. Ich möchte dem Volskmund nicht Unrecht tun, aber ich fürchte, durch diesen Mund irrt falsche Rede.
Was ist das für ein Gott, von dem wir Empfangen, der der Geber ist? Wir stehen vor ihm mit leeren Händen, denn schon unser Stehen, schon unsere leeren Hände, sind von ihm gegeben.
Die Philosophen nannten ihn den Unbewegten Beweger. Der Ursprung allen Seins. Der Anfang jeder Kausalität, die Kausalität in sich. Eine Wirkung ohne Ursache. So ist es bei Gott mit dem Geben. Er gibt, denn er ist der Nichtnehmende Geber. Ihm wurde nichts gegeben, er hat nicht genommen. Sondern er hat sich das erschaffen, das er lieben kann, den erschaffen, dem er geben kann!
Gibt es ein Bild dafür? Ich fürchte nein, denn Bilder kommen hier an ihre Grenze. Eine nie versiegende Quelle z.B. bringt zwar immer etwas hervor, aber wird letztlich doch von etwas gespeißt. Beim Brunnen ist es ähnlich. Auch bei der Sonne ist es so. Die Sonne strahlt, brennt und leuchtet, weil ihr Energie zugeführt wurde, weil sie so entstanden ist.
Es gibt nichts in unserem Erfahrungshorizont, das ein vollständiges Bild für Gott als den Nichtnehmenden Geber ist, das ihn angemessen beschreiben würde.
Das hat Konsequenzen. Es hat die Konsequenz, dass wir Gott nichts geben können, was er nicht eh schon hätte. Klar, bei materiellen Dingen ist das schnell ersichtlich, aber wie sieht es im Lobpreis aus? Was geben wir Gott da? Die Ehre? Liebe? Hat Gott nicht an sich schon alle Ehre? Ist er an sich nicht schon voller Liebe? Ein Punkt, der Fragen aufwirft. Wir können Gott nichts geben, denn alles, was wir zu geben hätten, gehört sowieso schon ihm. Alles, was wir geben könnten, ist unangemessen. Denn Gott ist der Nichtnehmende Geber!
Also: Bei Gott können wir nur nehmen! Nur das ist die angemessene Art, mit der wir auf den Nichtnehmenden Geber reagieren können. Man mag einwenden, wir geben ihm Glauben. Doch der Glaube ist auch ein Nehmen. Ein Nehmen, dessen, was Gott uns gibt. Oder wir geben ihm Dank. Doch Dank ist die Art, wie wir nehmen. Jedoch kein Geben.
Um das Einzigaritge an Gottes gebender Liebe zu verdeutlichen, zitiere ich noch mal Luther:
„Solcherart ist die Liebe des Kreuzes, geboren aus dem Kreuz, dass sie sich nicht dorthin wendet, wo sie das Gute findet, um es zu genießen, sondern dorthin, wo sie das Gute den Armen und Bedürftigen austeilen kann“
Nicht weil wir liebeswürdig sind, liebt er, nicht weil wir empfangsbereit sind, sendet er, nicht weil wir nehmende sind, gibt er. Nicht dort, wo wir es verdient hätten, trifft uns seine Liebe, sondern dort, wo wir es am allerwenigsten verdient hätten. Dort, wo wir bedürftig, arm, sind. Dorthin verteilt Gott das Gute.
Dies möchte ich zum Schluss des ersten Teil mit Paulus belegen, der es sehr deutlich auf den Punkt bringt, wo uns der Nichtnehmende Geber trifft.
denn alle haben gesündigt, und in ihrem Leben kommt Gottes Herrlichkeit nicht mehr zum Ausdruck und dass sie für gerecht erklärt werden, beruht auf seiner Gnade. Es ist sein freies Geschenk aufgrund der Erlösung durch Jesus Christus. Ihn hat Gott vor den Augen aller Welt zum Sühneopfer für unsere Schuld gemacht. Durch sein Blut, das er vergossen hat, ist die Sühne geschehen, und durch den Glauben kommt sie uns zugute. Damit hat Gott unter Beweis gestellt, dass er gerecht gehandelt hatte, als er die bis dahin begangenen Verfehlungen der Menschen ungestraft ließ.
Was für ein Zuspruch. Was für ein Evangelium. Der Nichtnehmende Geber gibt. Das ist die Grundlage, das ist das, womit es anfängt. Doch was ist mit uns als Gebern? Schließlich sind unsere menschlichen Vollzüge immer vom Nehmen und Geben geprägt.
Schon Jak 2,17 reißt die Problematik an: So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.
In seiner Schrift: Freiheit eines Christenmenschen ringt Luther mit eben dieser Frage. Auf der einen Seite leben wir, bestehen wir, weil Gott gibt, weil er uns liebt, auf der anderen Seite, geben wir, lieben wir, weil er uns liebt.
Luther würde es so ausdrücken:
Ei, so will ich für diesen Vater, der mich mit seinen überschwenglichen Gütern so überschüttet hat, auch frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohlgefällt, und für meinen Nächsten auch eine Art Christus werden, wie Christus mir geworden ist, und nichts anderes als das tun, was ihm nur, wie ich sehe, nötig, nützlich und heilsam ist, weil ich ja durch meinen Glauben in Christus alle Dinge zur Genüge habe. – Sieh, so fließt aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, umsonst dem Nächsten zu dienen.
Dem nächsten ein Christus werden. Dem nächsten geben, weil wir selbst nehmen. Wir nehmen von Gott und geben dem nächsten. Darin erweist sich unser Glaube, darin kommt er zum Ausdruck. Ich habe sogar den Verdacht, dass er darin viel stärker zum Ausdruck kommt, als wenn wir vesuchen Gott irgendwas zu geben? Glaube, Dank, Liebe oder Lobpreis.
Luther selbst hat das Bild des Kanals gebraucht. Wir sind ein Kanal, durch den die Liebe Gottes durchfließt, aber das finde ich nicht ganz angemessen, denn ein Kanal profitiert selbst nicht davon. Im Gegenteil. Meistens leidet ein Kanal darunter, dass etwas durch ihn hindurchfließt. Er ist nur Übermittler. Nur Mittel zum Zweck. Aber das sind wir nicht. Wir sind Gottes Zweck. Nicht bloß Mittel. Gott geht es um dich und um mich und um unseren nächsten.
Meines Erachtens ist es vermessen zu sagen, wir geben, wie Gott gibt. Ich sage: Wir geben, weil Gott gibt. Wir sind nicht der Nichtnehmende Geber. Wir empfangen selbst. Und wir können und sollen nur das weiter geben, was wir selbst emfpangen haben.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Gott der Nichtnehmende Geber und wir die nehmenden Geber. Der Zuspruch geht voraus, er lässt uns überströmen, er lässt uns auslaufen voller Liebe. Liebe die wir nehmen.
Jetzt mache ich dir zwei verschiedene Angebote, weil es sein kann, dass du entweder das eine oder das andere brauchst:
1. Gib. Gib, denn dir ist gegeben. Gib etwas von deinem Wissen ab, damit andere davon profitieren. Gib etwas von deiner Zeit ab, denn deine Zeit ist Gottes Geschenk an dich. Gib etwas von deiner Geduld ab, denn wie viel Geduld schenkt Gott dir? Gib etwas von deiner Liebe ab, denn die Liebe kommt von Gott! Und vielleicht noch etwas herausforderndes: Gib dich selbst deinem Mann, deiner Frau. Gott gibt sich dir hin, also, gibt dich ihm oder ihr hin.
Das war das erste Angebot. Entweder bist du jetzt fertig oder dir ist schlecht. Wenn dir schlecht ist, kommt hier das zweite:
2. Studieren ist selbst schon geben. Du gibst Zeit, Mut, Einsatz, Engagement. Du profitierst sehr stark davon, aber es ist schon geben. Was du neben diesem Geben noch geben kannst, entscheidest du, aber lass dir gesagt sein, dass Denken und Theologiebetreiben nicht nehmen ist, es ist nicht nur Theorie, sondern schon Geben und Praxis. Vielleicht reicht das im Moment für dich. Das musst du allein entscheiden.
Gott. Der Nichtnehmende Geber. Weil er uns gibt, geben wir weiter.
Amen.
(Den Anstoß zu dieser Andacht habe ich durch ein grandioses Buch von Miroslav Volf erhalten: „Umsonst“
((Danke auch an Moritz Groos, der freundlicherweise als Handmodel für das Beitragsbild zur Verfügung stand))
Vielen Dank für diese schöne Andacht. Dieses „Gott irgendetwas geben“ halte ich auch für einen theologischen Irrweg, der wunderbar fromm klingt, aber sich seiner Konsequenzen – sowohl theologisch als auch diakonisch – nicht bewusst ist. Da wird nämlich der sich fromm gebende Blick auf Gott zum Tunnelblick. Stattdessen will ich lieber immer mehr lernen, Gott im Blick auf den Nächsten zu sehen. Das erscheint mir (im wahrsten Sinn) aussichtsreicher …
Geben ist seliger als nehmen – das stent in Apg. 20,35. Dann stimt die Theologie wohl doch nicht???
Es geht in der angeführten Stelle Apg 20,35 um das Verhältnis der Menschen untereinander, das darf man nicht einfach aus dem Kontext reißen und eine allgemeine Aussage daraus machen. Auf das Verhältnis des Menschen zu Gott lässt sich das nicht anwenden – was sollte man Gott geben können, was er nicht ohnehin schon hat?