Auf ein kleines Büchlein bin ich während einer Predigtvorbereitung zu Mat 1,18–25 gestoßen, das ich sehr interessant fand und nun einmal komplett gelesen habe. Ein „dtv portrait“ über Jesus von Nazareth von den evangelischen Theologinnen Dorothee Sölle und Luise Schottroff. Auf gut lesbaren 160 Seiten inklusive vielen Farbbildern und Gedichten stellen sie ihre Sicht auf den Mann dar, dessen Geschichte dem christlichen Glauben zugrunde liegt.
Dass es sich dabei um einen sehr spezifischen Blick handelt, wird jedem klar sein, der etwas mit den Namen der Autorinnen anfangen kann. Dementsprechend reflektiert bereits das Vorwort darauf, dass es das Portrait aus drei bestimmten Sichtweisen heraus entstanden ist: es ist der feministischen und der Befreiungstheologie ebenso verpflichtet wie der Kritik am überkommenen Antijudaismus des Christentums. Das alles atmet die Luft der sozialgeschichtlichen Exegese für die der Name Schottroff durchaus steht. Die Ausrichtung spürt man freilich, und hier und da könnte man wohl auch das eine oder andere historische Urteil noch einmal daraufhin kritisch hinterfragen – insgesamt führt es aber zu einem unaufgeregten und sehr erfrischenden Jesusbild, das die Geschichte dieses Menschen nah an die antike – und die heutige! – Erfahrungswelt heranrückt.
Das Buch geht thematisch vor. Die wichtigsten Themen des Lebens Jesu und der christlichen Tradition, die sich um ihn bildet, werden nach und nach in aller Kürze besprochen. Das führt dazu, dass man einen sehr komprimierten Überblick bekommt und sich manche Zusammenhänge ganz gut erschließen kann.
Insgesamt ist das Buch aus meiner Sicht empfehlenswert, weil es eine gesunde kritische Distanz zum historischen Jesus und seiner Tradition wahrt und andererseits sehr nahbar auf die (auch heutigen) Wirkungen seiner Geschichte aufmerksam macht. Eine wohltuende Ausgewogenheit, die nach meiner Erfahrung in (den mir bekannten) freikirchlichen Kreisen nur selten gelingt. Daher sei das Buch gerade hier sehr empfohlen.