Exegetische Predigtnotiz #12: Mk 4,10–12

Warum redete Jesus in Gleichnissen? Das Markusevangelium hat seine eigene(n) Antwort(en) darauf, die allerdings nicht so ganz leicht zu verstehen ist. Als Auftakt zu einer Predigtreihe über drei Gleichnisse steht Markus 4,10–12 im Fokus.

1        Übersetzung

10 Καὶ ὅτε ἐγένετο κατὰ μόνας,
ἠρώτων αὐτὸν
οἱ  περὶ αὐτὸν
σὺν τοῖς δώδεκα
τὰς παραβολάς.
Und als er alleine war
fragten ihn
die, die bei ihm waren
mit den Zwölfen
[nach] den Gleichnissen.
11 καὶ ἔλεγεν αὐτοῖς·
ὑμῖν τὸ μυστήριον δέδοται
τῆς βασιλείας τοῦ θεοῦ·
ἐκείνοις δὲ τοῖς  ἔξω
ἐν παραβολαῖς  τὰ πάντα  γίνεται,
Und er sagte zu ihnen:
Euch ist das Geheimnis gegeben,
[das] von der Königsherrschaft Gottes [handelt].
Jenen aber, die außen vor sind,
wird alles in Gleichnissen geschehen.
12 ἵνα βλέποντες βλέπωσιν καὶ μὴ ἴδωσιν,
καὶ ἀκούοντες ἀκούωσιν καὶ μὴ συνιῶσιν,
μήποτε ἐπιστρέψωσιν καὶ  ἀφεθῇ αὐτοῖς .
Damit sie sehend sehen, aber nicht erkennen
und hörend hören, aber nicht verstehen
damit sie nicht umkehren und ihnen vergeben werde.

 

2        Erste Beobachtungen

2.1      … zum Kontext

Der Text steht im Rahmen der ersten großen Rede im Markusevangelium. Sie enthält drei Parabeln[1] und (unter anderem im untersuchten Abschnitt) eine Reflexion über die Funktion und den Sinn der Gleichnisse Jesu. Interessant ist der scheinbare Widerspruch der V. 10–12 mit Mk 4,33f. Der erste Teil von Mk 4 behandelt die Frage nach Hören und Verstehen der Botschaft Jesu – darin findet auch unser Text seinen Ort. Die Reflexion über die Gleichnisse erfolgt nach der ersten Parabel der Rede (zuvor gibt es zwei Bildhandlungen in Mk 2,19–22 und zwei kurze Parablen in Mk 3,24f.27), sie scheint so gewissermaßen nachgeschoben zu sein. Gleichwohl wird in V. 13 eine entsprechende Unterhaltung und Frage nach dem Verständnis des konkreten Gleichnisses vom Sämann (Mk 4,2–9) vorausgesetzt.

2.2      … zu den Parallelstellen

Mt 13,10–17 und Lk 8,9–10 verarbeiten den Stoff von Mk 4,10–12 (dazu: Zweiquellentheorie) und nehmen dabei Änderungen vor, die aufschlussreich für das Verständnis von Mk sind. So sind nur bei Mk „die, die bei ihm waren“ genannt, bei Mt und Lk nur die „Jünger*innen“ (Mk: „Zwölf“). Mt fügt in die Antwort Jesu ein „weil“ ein, sodass sich der Sinn leicht verschiebt und Jesus in Gleichnissen redet, weil die Jünger*innen verstehen können. Mt und Lk betonen beide die Einsicht in die Geheimnisse („gegeben zu erkennen“, außerdem Plural!), während Mk im nächsten Teilvers gegenüber Mt und Lk mehr Worte um das Unverständnis macht. Ebenso ist das folgende Zitat bei Mk weiter ausgebreitet, er verwendet je drei Verbformen („… sehend sehen und nicht sehen …“), während Mt und Lk nur zwei gebrauchen („… sehend nicht sehen …“). Mt 13,14f bringt allerdings das Zitat danach noch in der ausführlicheren Variante (nach LXX).

3        Notizen zum Text

Zu Vers 10: Der Ortswechsel wird nicht ausgeführt, zuvor predigte Jesus von einem Boot aus zu einer großen Menschenmenge (Mk 4,1), nun ist er allein mit denen, „die bei ihm waren“. Gedacht ist vermutlich an die Jünger*innen. Die explizite Erwähnung der Zwölf besonderen Jünger dürfte nachträglich vom Autor des Markusevangeliums in eine vorliegende Quelle eingearbeitet worden sein, um an dieser Stelle das für Mk typische Unverständnis der Jünger zu betonen – so wäre die Dopplung ebenso zu erklären wie die Tatsache, dass Jesus in Mk 4,36 noch immer im Boot sitzt.[2] Der Anschluss in V. 13 scheint es nahezulegen, dass die Frage in V. 10 sich ursprünglich auf das vorangegangene Sämann-Gleichnis bezog, nun aber von Mk allgemein auf die Funktion der Gleichnisse gestellt wird.

 

Zu Vers 11: Jesus betont den Kontrast zwischen „euch“ und „jenen“, die Pronomen sind jeweils sprachlich betonend vorangestellt. Das Kernthema der Gleichnisse wird benannt: die Königsherrschaft Gottes (βασιλεία τοῦ θεοῦ). Es wird als geheimnisvoll bezeichnet, man kann aber unterschiedlich übersetzen/interpretieren: entweder ist a) etwas an dieser Königsherrschaft ein Geheimnis oder b) die ganze Königsherrschaft ein Geheimnis. Die zweite Option scheint mir theologisch sinnvoller. Dieses Geheimnis (μυστήριον mystérion, im NT nur hier und in den Parallelstellen Mt 13,11 und Lk 8,10) ist den Zuhörer*innen gegeben (passiv!).

Es wird diskutiert, ob παραβολαίς (parabolaís Parabeln) in 11b mit Rätselreden besser zu übersetzen wäre. Der theologischen Sache nach mag das zutreffen (!), denn es wird gerade das Unverständnis für die Gleichnisse betont, sprich: Für Menschen, die sie nicht verstehen, sind es Rätsel. Es besteht aber für mich kein Anlass, hier eine andere Bedeutung des Wortes anzunehmen als an den 12 anderen Stellen im Mk.

 

Zu Vers 12: Hier wird die Auslegung kompliziert, denn es regen sich schon beim ersten Lesen innere Widerstände: Warum sollte Jesus nicht verstanden werden wollen (mit allen in V. 12 angedeuteten Konsequenzen)? Wie passt das zu Mk 4,33f?

Es ist auch nicht klar, nach welcher Vorlage aus Jes 6,9f zitiert ist – der Text passt weder genau zum griechischen (vgl. LXX) noch hebräischen Text (vgl. BHS). Am ehesten passt die Variante aus dem Targum, einer aramäischen Übersetzung, die das Jesajawort von der „Verstockung“ ein Stückweit abschwächt.

Inhaltliche Probleme bereitet das „damit“, mit dem das Zitat eingeleitet wird. Demzufolge hätten die Gleichnisse gerade die Funktion, die Botschaft Jesu zu verhüllen. Das steht im Widerspruch zu Mk 4,33f. Einleuchtend erscheint mir die Auslegung von Schweizer: Dem Mk kommt es darauf an, die Einsicht in die Bedeutung der Botschaft Jesu als ein Geschenk (oder: Offenbarung) zu verstehen und dies durch ein quasi verordnetes Unverständnis zu betonen. Daraus folgt mit Bornkamm: Die Einsicht in das Geheimnis der Königsherrschaft Gottes „kann also nur der Glaube vollziehen, der das im Gleichnis verhüllte, mit seiner Verkündigung sich ereignende, reale Geschehen des Anbruches der Gottesherrschaft erfaßt.“[3]

4        Literatur

Bornkamm, Günther, Art. μυστήριον, in: ThWNT IV, 824f.

Eckey, Wilfried, Das Markusevangelium: Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 1998, 138–140. (Amazon.de)

Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus  (EKK), Neukirchen-Vluyn 22015 (Studienausgabe). (Amazon.de)

Schweizer, Eduard, Das Evangelium nach Markus (NTD), Göttingen 1978, 46–48. (Amazon.de)

Zimmermann, Ruben (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 22015. (Amazon.de)

 

5        Anmerkungen

[1] In der neueren Forschung werden die verschiedenen Arten von Gleichnissen (Bildwort, Gleichnis im engeren Sinne, Parabel, Beispielerzählung) nicht mehr strikt unterschieden, sondern unter dem Sammelbegriff „Parabel“ verhandelt. Vgl. Zimmermann (Hg.), Kompendium, 17–23.

[2] Die sog. literarkritische Position vertritt z. B. Schweizer.

[3] Bornkamm, Art. μυστήριον, in: ThWNT IV, 824f.

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