Der folgende Text ist die zweite von drei Predigten zu Apostelgeschichte 2,1–13. Die drei Teile bildeten eine dreiwöchige Predigtreihe unter dem Titel „Ein Hauch von Gott“. Sie lief bis Pfingsten in der FeG Fischbacherberg. Die Predigt kann man hier nachhören. Den ersten Teil gibt es hier zum Nachlesen, ein paar Predigtnotizen hier.
Rückblick
Letzte Woche haben wir uns mit den V. 1–4 beschäftigt und versucht, dieser außergewöhnlich beschriebenen Erfahrung nachzuspüren, die der ‚Lukas’ genannte Autor in der Pfingstgeschichte erzählt. Besser gesagt, die Erfahrungen (Plural), denn eine meiner Behauptungen war ja, dass sich in diesem Text ganz viele Erfahrungen der ersten Gemeinde(n) zu einer einzigen Erzählung verdichten. Was heißt das? Ich will es mit einem Beispiel erklären – hätte ich auch letzte Woche schon mitbringen können, fiel mir aber erst diese Woche ein J Wären die ersten vier Verse ein schwarzer Filzstift auf Chromatographiepapier (funktioniert auch mit Löschpapier, Kaffeefiltern oder Papiertaschentüchern), dann kann bei einer entsprechenden Auslegung folgendes passieren:
— Video „Chromatographie“ —
Das meine ich, wenn ich davon rede, dass ein Text verdichtet oder komprimiert ist. Das sieht man aber nicht, wenn man ihn einfach so nimmt, wie er ist. Wenn man einfach bloß mit Schwarz auf Weiß malt.
Auf einem der beiden ausgefüllten „Mitmachzettel“ stand letzte Woche als Rückmeldung: „Mir ist noch einmal bewusst geworden, wie schnell ich diese bekannten Texte ‚überlese’“. Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen.
Ein zweiter Punkt war mir letzte Woche wichtig und das gilt auch für heute: Christliche Gotteserfahrung, oder hier: Geisterfahrung gibt’s nicht ohne den Christus. Die Geschichte, die Gott im Leben dieses Mannes am Anfang und seit dem Anfang des letzten Jahrtausends schreibt, ist die Richtschnur für christliche Rede von unseren Erfahrungen mit Gott. Sozusagen das Chromatographiepapier, auf dem die Skizze unseres Lebens sich in bunten Farben entfaltet. Und auch das, was wir in den V. 1–4 lesen ist Christuserfahrung. Petrus wird einige Verse später nämlich sagen:
36 Alle Menschen in Israel sollen also an dem, was sie hier sehen und hören, mit Gewissheit erkennen: Gott hat diesen Jesus … zum Herrn und Christus gemacht.
Das muss man aus meiner Sicht im ganzen Kapitel 2 der Apg immer mitdenken, auch heute. Aber genug der Wiederholung und weiter im Text …
Apostelgeschichte 2,4–11
4 Und alle wurden erfüllt mit Heiligem Geist
und begannen, in fremden Sprachen zu reden,
so wie der Geist es ihnen auszusprechen gab.5 Aber in Jersualem wohnten Juden – fromme Männer –
aus allen Nationen die es unter dem Himmel gibt.6 Aber als dieses Geräusch aufkam,
kam eine Menge zusammen und war verwirrt,
weil jeder sie in seinem je eigenen Dialekt reden hörte.7 Aber sie waren außer sich und staunten. Sie sagten:
„Schau an, sind das nicht alles Galiläer, die da reden?8 Und wie kommt es dann, dass wir alle sie
in unserem je eigenen Dialekt reden hören,
in den wir hineingeboren wurden?9 Parther und Meder und Elamiter und die, die
in Mesopotamien, Judäa und auch Kappadozien wohnen, [in] Pontus und Asien,10 in Phrygien und Pamphylien, Ägypten und
in der Gegend von Libyen in Richtung Kyrene;
und die hier beheimateten Römer, 11 Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen von den Großtaten Gottes reden!“
Drei Ideen zu diesem Text will ich mit euch teilen, ohne ihn damit in Gänze auszulegen oder gar den einen Sinn zu treffen. Alles drei bezogen auf den Geist, von dem ‚Lukas’ spricht: à
Geist bewegt mich.
Geist übersetzt dich.
Geist verbreitet sich.
Geist bewegt mich.
Bedienen wir zu Anfang mal ein Klischee, denn ich behaupte mal: Für uns Männer ist dieser Text eigentlich überhaupt nicht außergewöhnlich, vielmehr Alltag. Eine Gruppe von Menschen redet völlig unvermittelt unverständliche Dinge? Kennen wir! Diese Gruppe von Menschen nennen wir „Frauen“. J Mal ein frei erfundenes realistisches Beispiel: Ich sitze mit Julia im Auto, wir beide in Gedanken, die Kinder schlafen und wir genießen 10 Minuten Stille. Plötzlich höre ich: „Du musst das auch noch bestellen!“ Und ich so: „Hä? Was?“ Spontanes Losreden ist also aus dieser (meiner …) Perspektive nichts allzu besonderes.
Drehen wir den Spieß mal um und stellen uns folgende absolut unrealistische Situation vor: Er bzw. ich komme nach Hause und fange sofort an, von meinem Tag zu erzählen. Was für unglaublich hässliche Schuhe die Professorin wieder anhatte, über welche E-Mail aus der Gemeinde ich mich total gefreut habe, wie ich den ganzen Tag eigentlich nur an Zuhause gedacht habe und, hey, achja, ich hab’ Blumen mitgebracht. Einfach so. Mir war gerade danach. Und sie so: „Hä? Was?“
Begeisterte Menschen fangen an zu reden. Nicht alle, aber für unseren Schriftsteller ‚Lukas’ scheint das erstmal ganz pauschal so zu sein. Wo der „Heilige Geist“ rauscht und brennt, da müssen andere lauschen – weil begeisterte Menschen reden. Ich kenne das von mir, wenn ich begeistert rede, dann rede ich und rede, und höre mir irgendwann selbst dabei zu und komme mir selbst fremd vor. Ein fremdes Reden, eine fremde Sprache. Für mich, und womöglich auch für die, die mir lauschen (müssen).
Geist bewegt mich, oder: motiviert mich. Ich würde sogar sagen, Geist ist Motivation. Aber eben nicht aus mir selbst, sondern sozusagen „von außen“. Nicht ich selbst begeistere mich, sondern etwas begeistert mich. In diesem, im christlichen Fall ist es die Geschichte von Jesus, dem Christus. Es ist die Begegnung mit dem Göttlichen in diesem Menschenleben. Das bringt die Jünger*innen in der Gemeinde zum Reden. Das bringt mich zum Reden:
- Lk 10,25–37: „Hast du von diesem barmherzigen Menschen aus Samaria gehört, der einem Wildfremden geholfen hat, einfach, weil er konnte? Stell dir mal vor, wir würden einfach helfen, wo wir gerade können. Als Gemeinde, als Land, als Europäische Union. Meine Güte, wie großartig das wäre!“
- Lk 15,11–32: „Oder hast du von diesen Eltern gehört, die ihre Ausreißertochter einfach so wieder zuhause aufgenommen haben? Das hat mich total begeistert, dass tatsächlich Neuanfänge möglich sind. Dass eine einzige schlechte Entscheidung nicht mein gesamtes Schicksal besiegeln muss.“
Geist bringt zum Reden. Genauer gesagt: Den Geist dieses Jesus Christus zu erleben macht mich redend vor Sprachlosigkeit. Obwohl ich sprachlos vor der überwältigenden Liebe in dieser Gottesgeschichte stehe. Dieser Geist bewegt mich.
Geist übersetzt dich.
Bewegt zu sein ist das eine. Unsere ganze Freikirche ist seit Jahren ganz bewegt. „Bewegt von Gottes Liebe bauen wir lebendige Gemeinden“ – so das aktuelle Motto … In einem Gespräch sagte mir mal jemand: „Bewegte Leute haben wir ja viele …“ — und vielleicht spürt ihr es schon kommen, das große „ …, aber“. Ist tatsächlich alles gesagt, wenn du bewegt bist? Eine Jippi-Ja-Jesus-Stimmung an den Tag legst? Oder geht es nicht doch auch darum, dass du verstehst? Dass andere verstehen, was mit dir passiert? Dass verständlich wird, was du im christlichen Glauben erlebst?
Ein kurzer Einschub: Damit meine ich nicht, dass du das immer bleibende Geheimnis des Glaubens völlig verstehen musst oder auch nur könntest. Im Gegenteil. Aber ich meine auch erst recht nicht die umgekehrte, in manchen Gemeinden verbreitete Ansicht, man könne bestimmte Sachen nicht verstehen, nach dem Motto: „Das musst du einfach glauben“. Mein Versuch liegt irgendwo dazwischen: verständlich werden lassen, was nicht völlig zu verstehen ist.
Genau dieses Wunder passiert in unserer Pfingstgeschichte. Menschen reden Dinge, die sie eigentlich selbst gar nicht so recht begreifen, die sich nach fremden Sprachen anhören und doch: Menschen verstehen sie. Sie werden im wahrsten Sinne angesprochen, weil sie die Sprache hören, die ihnen in die Wiege gelegt wurde. Es wird etwas in ihnen angeredet, was tief in ihrer Geschichte verwurzelt ist. Fern der eigentlichen Heimat die Muttersprache zu hören – das verbindet.
Verbindungen zwischen Menschen haben oft damit zu tun, dass man Verständnis füreinander hat. Sich sprichwörtlich gut versteht. Dass das nicht selbstverständlich ist, merkst du vielleicht erst, wenn das Verstehen ausbleibt. Da redest du minutenlang mit jemandem, sprichst dich aus, und fühlst dich am Ende doch völlig missverstanden. Und dein Gegenüber vielleicht auch. Ihr habt zwar die gleiche Sprache gesprochen, aber doch irgendwie nicht die gleiche Sprache gesprochen.
Hier ist es anders. Pfingsten verbindet. Geist übersetzt dich. Aus irgendeinem Grund passiert es, dass Menschen verstehen, was auch dir am christlichen Glauben wichtig ist. Oder etwas offener gesagt: Menschen werden angesprochen von der Kraft, die im Evangelium von Jesus Christus wirksam ist – auch an dir. Auch durch dich.
Aber, das machst nicht du. Und so gerne ich das in der Hand hätte: das bewirkt auch keine noch so gute Theologie (so schwer mir dieser Satz gerade auch fallen mag …). Nein, das geschieht allein dadurch, dass Gott selbst – als Geist – „über-setzt“. Im Sinne von verständlich machen, aber auch im Sinne von „über-setzen“, wie von einer Flussseite auf die andere. Bildlich gesprochen: Gott setzt auf deine Seite über, um dich auf seine Seite zu übersetzen; um Menschen seinen Geist, seinen „spirit“, spüren, atmen und sagen zu lassen. Geist übersetzt dich.
Geist verbreitet sich.
Dass er gesagt wird und „zur Sprache kommt“, dieser spirit, dieses Evangelium von der Kraft Gottes in der Jesusgeschichte, das drängt nach außen. Geist verbreitet sich. Geist ist keine Person, die in einem begrenzten Rahmen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ist. Geist ist vielmehr wie das Rauschen des Windes, das alles umgibt. Wie der Rauch des Feuers, ungreifbar und schnell verbreitet wie der Grillgeruch der Nachbarn. (Manchmal auch schnell verflogen, aber das meine ich nicht J). Das lässt sich nicht begrenzen. Und das meint auch die sogenannte Völkertafel in V. 9–11, denke ich: Dieser Geist übersetzt, ja überwindet Grenzen. Die Rede von den „Großtaten Gottes“ in Jesus Christus ist nicht exklusiv, nicht beschränkt. Sie geht in alle möglichen Richtungen. Sie überwindet Sprachbarrieren. Sie überwindet Lebenskonzepte. Sie überwindet Bibelverständnisse. Sie überwindet die Grenzen zwischen konservativen und liberalen Schubladen. Zwischen evangelischen, katholischen und orthodoxen Traditionen. Überwindet diese Kraft vielleicht sogar Grenzen zwischen christlichen, jüdischen und muslimischen Gottesbildern? Hat nicht die Liebesgeschichte Gottes die Macht, die Grenzen zwischen Menschen zu überwinden?
Dann hören wir sie in unseren „Muttersprachen“ reden: im Ruf nach Hunger, Durst und Heimat. Und in einer Sprache, die uns doch oft so unglaublich fremd ist: in Vergebung, Mitleid und Anerkennung.
Wo Gott gegenwärtig ist – und genau das meint die Rede vom Geist – da werden Grenzen überwunden. Papst Franziskus sagte vor einigen Wochen: „Eine Person, die daran denkt, Mauern anstatt Brücken zu bauen, ist nicht christlich. Das ist nicht das Evangelium.“[1] Ob man das über eine Person sagen sollte, darüber kann man sicher streiten (selbst wenn es Donald Trump ist …). In der Sache stimme ich aber uneingeschränkt zu: Wo der Geist Gottes weht, entstehen Brücken zwischen Menschen unterschiedlichster „Herkunft“. Keine Mauern. Amen.
Geist täuscht euch?
Mit einem kurzen Ausblick muss ich schon andeuten, dass das natürlich die Realität nicht trifft. Trotz allem entstehen – gerade da, wo es um christlichen Geist geht – doch auch etliche Mauern. Auch im Text. Kann man sich über den Geist „täuschen“? Rausch und Rauschen verwechseln? Nächste Woche werden uns die unterschiedlichen Reaktionen auf dieses Geistwirken beschäftigen.
Anmerkungen
[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-02/papst-franziskus-donald-trump-kritik. Es gibt verschiedene Übersetzungen dieses Zitates in der Presselandschaft …