Der folgende Text ist die erste von drei Predigten zu Apostelgeschichte 2,1–13. Die drei Teile bildeten eine dreiwöchige Predigtreihe unter dem Titel „Ein Hauch von Gott“. Sie lief bis Pfingsten in der FeG Fischbacherberg. Die Predigt kann man hier nachhören, ein paar Predigtnotizen hier nachlesen.
Einführung zur Predigtreihe
Ich finde, Pfingsten führt im Ensemble der christlichen Feiertage ein Schattendasein. Klar, es beschert immer ein langes Wochenende, aber dass es in der Gemeinde einen wirklich hohen Stellenwert genießt, könnte ich jetzt nicht behaupten. Vielleicht sogar ein bisschen im Gegenteil, denn Pfingsten ist jedes Jahr die Zeit für christliche Konferenzen. Viele Leute aus den unterschiedlichsten Gemeinden fahren allein oder in Gruppen zu Pfingsttreffen und Ähnlichem. Dabei ist Pfingsten das Fest der Gemeinde! Mit Pfingsten komprimieren wir sozusagen eine ganze Theorie christlicher Gemeinde auf einen einzigen Feiertag. Wir feiern eine Zusammenfassung all dessen, was Gemeinde zur Gemeinde macht: nämlich eine Erfahrung, die wir Heiliger Geist nennen. Geist und Gemeinde sind die beiden wesentlichen Bestandteile von Pfingsten. Wie sie zusammenhängen, dem versuchen wir in den nächsten drei Wochen mal anhand von Apostelgeschichte 2,1–13 in ganz kleinen Portionen nachzuspüren.
Wer Nachschub braucht und sich als „junge*r Erwachsene*r“ so zwischen 20 und 40 fühlt, den oder die mache ich gerne auf meine Freizeit im Herbst aufmerksam – da geht es fünf Tage lang um die Frage, was Heiliger Geist ist. www.bedenkzeit.org – Ende der Werbung 🙂
Zurück zur Predigtreihe – die trägt den Titel „Ein Hauch von Gott“. Das ist natürlich ein Wortspiel – ich liebe Wortspiele. Aber mit Worten ist das so eine Sache. Im Deutschen haben wir bei dem Begriff Geist und speziell auch beim „Heiligen Geist“ schnell etwas Personhaftes vor Augen, wenn wir nicht gerade Philosophie oder eine andere Geisteswissenschaft studiert haben. Das Problem ist, auch wenn das vielleicht komisch klingen mag: Geist und Gespenst liegen in unserem Sprachgebrauch sehr nah beieinander. Man braucht nur mal die Google-Bildsuche bemühen und nacheinander die Stichworte „Geist“ und „Gespenst“ eingeben – et voilà: kaum ein Unterschied!
Schon im Englischen wird es deutlicher, denn hier kann man zwischen ghost (Gespenst) und spirit (Geist) unterscheiden. Und mit mind (Verstand) kann man noch genauer bezeichnen was man eigentlich meint. Wenn man aber das deutsche „Geist“ sagt, dann schwingt all das mit.
Wenn wir nun in unseren Bibeln von „Geist“ lesen, dann steht in den ursprünglichen Sprachen Hebräisch (bzw. Aramäisch) ruach, bzw. Griechisch πνεῦμα. Und beides bringt noch eine weitere Nuance ins Spiel. Ich bleibe mal beim Griechischen, denn da kennt man den Begriff schon her. Er taucht auf in den etwas bekannteren Fremdworten Pneumologie (Lungenheilkunde) und Pneumatik (alles, was technisch mit Druckluft zusammenhängt). Luft, Wind, Atem – oder eben: Hauch!
Also, „Ein Hauch von Gott“ meint alles, wo dir Gott um die Nase weht. Es geht um eine frische Brise, die dich göttlich belebt. Wir fragen danach, wo wir Gott zu atmen hoffen können. Und wir lassen uns vom heiligen Sturm den gewöhnlichen Lauf der Weltendinge heilsam durcheinanderbringen.
So spektakulär es uns auch in der Apostelgeschichte geschildert werden wird, manchmal bleibt es in der alltäglichen Realität doch auch nur „ein Hauch von Nichts.“ Ganz unscheinbar. Auch so darf der Titel verstanden werden. Als Ahnung. Als Sehnsucht. Als Suche – nach diesem in jeder noch so geringen Konzentration wirksamen „Hauch von Gott.“ Ich bin selbst ganz gespannt, wohin uns das führt!
Teil 1/3: Rauschen.
Predigttext: Apg 2,1–4
1 Und als [die Zeit bis zum] Pfingsttag erfüllt war,
da waren alle [wieder] am selben Ort zusammen.2 Und plötzlich kam ein Rauschen vom Himmel auf
(als wäre es ein mächtiger Wind)
und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sich aufhielten.3 Und es erschienen ihnen gespaltene Zungen
wie aus Feuer
und setzten sich auf jeden Einzelnen von ihnen.4 Und alle wurden erfüllt mit Heiligem Geist
und sie begannen, in fremden Sprachen zu reden,
so wie der Geist es ihnen auszusprechen gab.
„Zur rechten Zeit am rechten Ort“ möchte man meinen, wenn man in den Text einsteigt. „Die Zeit ist gekommen.“ Wir kennen Unsummen von Redewendungen für diese Situation. „Es ist an der Zeit.“ Spürst du die Spannung, die sich im Text auftut? „Die Zeit ist reif.“ Was immer jetzt passiert, es ist logisch, lange erwartet und doch überraschend. Man kennt das von manchen Witzen, bei denen man die Pointe schon vorausahnt, aber sie muss trotzdem fallen, bevor das Lachen aus einem herausbrechen kann. Diese Spannung vor der Pointe erlaubt der Autor der Apostelgeschichte sich hier. (Wir nennen ihn übrigens ‚Lukas’.) Es folgt freilich kein Witz – aber doch ganz gute Unterhaltung, wie ich finde.
Wäre die Zeit ein Fass, es würde an dieser Stelle überlaufen, denn es ist prall gefüllt. Die Zeit ist erfüllt. 50 Tage nach Passah. Pünktlich. Und alle sind da. Alle. Keine Terminüberschneidungen, keine anderen Verpflichtungen. Erstaunlich präzises Timing auf allen Seiten. So kann man es deuten. Ich würde eher vorschlagen: der Text komprimiert. Er verdichtet. Wie Pressluft ist hier auf engstem Raum zusammengeschrieben, was in der Jesusgemeinschaft nach seinem Tod passiert. Wie die Gemeinde von seiner dennoch bleibenden Anwesenheit begeistert wurde. All diese zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten gemachten Erfahrungen werden hier zusammenerzählt[1], wie in der Sportschau: Die Spiel entscheidenden Szenen aus 1 ½ Stunden Fußball, verdichtet auf gut 5 Minuten, die einen Eindruck vom ganzen Spiel vermitteln sollen. Da erfahren wir nicht alles, aber alles, was zählt: Chancen, Fouls und Tore.
Also, Vers 1 übernimmt sozusagen die Rolle von Matthias Opdenhövel und kündigt uns die nun folgende Spielzusammenfassung an. Auf die wollen wir uns mal einlassen, ohne schon das Ergebnis zu kennen. Deswegen rede ich zuerst recht viel von „etwas“, von „einer Erfahrung“. Wir lassen uns mal – im Sportschaubild gesprochen – vom Spiel mitreißen, ohne von vornherein zu wissen, worauf es hinausläuft. Wir wollen mal das Spiel spüren, ohne gleich auf die Tabelle zu schauen. Ich bin selbst sehr gespannt, ob das funktioniert … 🙂
(Windrauschen wird abgespielt) Plötzlich ein Rauschen. Wie der Wind, aber es ist nicht der Wind. Das Rauschen füllt das ganze Haus, wie Geräusche es eben machen. Man kann sich ihnen nur schwer entziehen. Etwas geschieht. Ich stelle mir vor, wie die Menschen der Erzählung nervös werden, sich umschauen. Ihr kennt das vermutlich sogar aus unserer technisch so professionellen Gemeinde: Wenn es bei der Technik mal „rauscht“, irgendwas nicht funktioniert. Dann werden wir unruhig – und ich darf euch versichern, auch die Menschen an der Technik werden unruhig. Mit jedem Gesicht das sich nach hinten dreht mehr 😉 Es entsteht eine Spannung im Raum, wenn die Veranstaltungstechnik plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln scheint.
Spürt ihr das? Ich glaube, dass von ‚Lukas’ hier vielleicht ein ganz ähnliches Erleben erzählt wird. Emotional, meine ich – er hatte ganz bestimmt keinen Technikausfall vor Augen … J Aber die Gefühlsregung, dass etwas passiert, das man (noch) nicht ganz einordnen kann, die scheint mir hier zu knistern. Oder eben: zu rauschen. In der Gemeinschaft. Zuhause und allein ist das weit weniger spektakulär. Wenn da etwas an meiner Technik „rauscht“, dann regt mich das ganz anders auf, als in der Gemeinschaft. Der „Ort“ ist wichtig, das Umfeld erscheint mir hier ganz wesentlich zu dieser Erfahrung dazuzugehören, nämlich das Haus als Beschreibung für den Ort und die Zeit, wo die Gemeinde versammelt ist.
Wenn jetzt jemand von euch denkt: „Wovon sprich der?“, dann kann ich das gut verstehen. Denn ich versuche über etwas zu reden, was in Worten ganz schwer auszudrücken ist. Weil etwas zu beschreiben ist, was im Bereich des Gefühls abläuft – zumindest ist dieser Bereich hier vor allem im Blick, denke ich. Und damit stehen wir vor dem gleichen Problem, wie ‚Lukas’: Irgendwie will man es ja doch sagen, was man erlebt. Rauschen wie von einem Wind.
Dann scheint genau das Gleiche nochmal mit Feuer als Metapher beschrieben zu sein. Aus Brandschutzgründen verzichte ich hier auf anschauliche Beispiele und erkläre ein wenig. Die Verse mit Wind (2) und Feuer (3) stehen inhaltlich sehr nah beieinander und ich würde sogar behaupten, dass sie sich letztlich auf dieselbe Gefühlserfahrung richten. Aber zwei Unterschiede sind zwischen V. 2 und 3 doch ganz wichtig.
Erstens wird aus beiden Versen gemeinsam deutlich, was eigentlich eine religiöse Gemeinschaft (im Sinne des Textes) ausmacht. Zuerst geht es hier um eine Gemeinschaftserfahrung, die im Text verarbeitet wird. Es geht um etwas, das aufs Engste mit dieser Gemeinschaft zusammenhängt, in dieser Gemeinde passiert (ist). Auf alle fallen am selben Ort die gleichen Flammenzungen herab. Aber darüber hinaus wird nun im Feuerbild deutlich: jede und jeder Einzelne ist gemeint. Die Gemeinschaftserfahrung gibt’s nicht ohne das, was mit den Einzelnen passiert – umgekehrt aber werden die Einzelnen in die Gemeinschaft hineingestellt. Also erstens: Gemeinschaft und Einzelmensch sind nicht dasselbe, gehören aber untrennbar zusammen. Religion ist zwar insofern Privatsache, als sie mich ganz persönlich betrifft, aber sie kommt sehr viel anschaulicher in einer Gemeinschaft, in einer (christlich gesagt) Gemeinde oder Kirche zum Ausdruck. Mal ein wenig konkreter: Gemeinde und das ganze Christentum funktionieren nicht, wenn jede*r nur ganz für sich allein Gottesdienste feiert. Es braucht die Gemeinschaft. Und keine Gemeinde funktioniert, wenn sich nicht jeden Sonntagmorgen Menschen mehr oder weniger bewusst aus dem Bett quälen. Es braucht die Einzelnen.
Zweiter Unterschied zwischen V. 2 und V. 3: Es ist ein anderes Sinnesorgan angesprochen. Wir erfahren hier etwas, das gehört und gesehen wird. Was die Anwesenden im Haus in der Erzählung erleben wird also als höchst überzeugend und versichernd geschildert. Es geht, glaube ich, nicht um das, was sie gesehen haben, sondern darum, anschaulich zu beschreiben, was Menschen in der Gemeinschaft der Christinnen und Christen erlebt haben. Ich finde das sehr einleuchtend, denn das kommt mir ganz bekannt vor. Ein Beispiel, warum zwei Sinnesorgane überzeugender sind als eines: Wenn ich mit jemandem telefoniere und ihn oder sie (nur) höre, dann kann ich zwar viele Nuancen in der Sprache deuten und manchen Unterton raushören – was die Person aber faktisch gesagt hat, habe ich nur als Erinnerung vor mir. Und die kann mich durchaus mal täuschen. Anders bei Texten (E-Mail, WhatsApp). Da sehe ich die harten Fakten schwarz auf weiß, kann aber nur schwer zutreffend zwischen den Zeilen lesen. Trotz einem schier unüberschaubaren Angebot an Smileys, um meine Gefühle auszudrücken … ein direktes Gespräch ist sehr viel eindeutiger, überzeugender.
An Pfingsten kommt nun dies beides zusammen. Wir lesen in dieser Geschichte etwas von einer völlig überzeugenden Erfahrung innerhalb der Gemeinschaft, die nur schwer auszudrücken ist. Da geschieht etwas mit den Menschen, was sich kaum in Worte fassen lässt. Darüber muss man nachdenken. Das muss man irgendwie einordnen und will es verstehen. Zumindest geht es mir so und ich vermute, auch ‚Lukas’ ging es so. Denn genau dieses Verstehen versucht Vers 4. Und die Antwort lautet: Heiliger Geist. Was da gerade von ‚Lukas’ erzählt wurde, das ist Heiliger Geist. Und dieses Heiliger Geist ist: Überzeugungsarbeit. Angesprochen werden von dem, was in der christlichen Gemeinde passiert. Mitgerissen werden von dem, was die Gemeinschaft der Christinnen und Christen begeistert. Nicht durch Menschen, sondern durch Gott. Deswegen ist es Heiliger Geist. Nicht als Person, als eine Gestalt oder gar wie ein Gespenst – hier muss man vielleicht etwas umdenken und Geist vielmehr als Kraft, als Wirkung, als eine Art Atmosphäre denken. Als veränderte, geheiligte Atmosphäre. Weil Menschen von etwas überzeugt werden. Nicht allein durch menschlichen Verstand, sondern es geht um einen von Gott selbst überzeugten Verstand. Nicht bloß wohliges spirituelles Gefühl, sondern von Gott inspirierte Gemeinschaft. Nicht nur logische Folge, sondern gespenstisch anmutendes Neues. —
Hier brauchen wir eine Zäsur. Ein kurzes Innehalten, drüber nachdenken und dann fragen: Ist es das schon? Dem christlich Glaubenden und der christlichen Theologin muss hier etwas fehlen: (Frage in die Runde: Ideen?) — Der Christus! Christlichen Glauben, christliche Gemeinde und christliche Theologie gibt’s nicht ohne. Aber: Der Text ist tatsächlich auch nicht ohne. Nur brauchen wir dafür sozusagen einen kleinen Exkurs ein paar Verse weiter, wo Petrus versucht zu erklären, was es mit den Erfahrungen der Gemeinde auf sich hat. ‚Lukas’ lässt ihn dort sagen:
22 »Ihr Männer von Israel, hört, was ich euch zu sagen habe! Jesus von Nazaret wurde von Gott bestätigt durch die machtvollen und Staunen erregenden Wunder, die Gott durch ihn unter euch vollbracht hat; ihr wisst es selbst. […]
32 Diesen Jesus also hat Gott vom Tod auferweckt; wir alle sind dafür Zeugen. 33 Er wurde zu dem Ehrenplatz an Gottes rechter Seite erhoben und erhielt von seinem Vater die versprochene Gabe, den Heiligen Geist, damit er ihn über uns ausgießt. Was ihr hier seht und hört, sind die Wirkungen dieses Geistes! […]
36 Alle Menschen in Israel sollen also an dem, was sie hier sehen und hören, mit Gewissheit erkennen: Gott hat diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht.«
Jesus als der von Gott bestätigte Christus ist der Grund für all die Erfahrungen, die unser Text zu transportieren versucht. Es ist das, was die Gemeinde mit, an und durch diesen Jesus Christus erlebt. Und durch diese Christuserzählung liegt zugleich ein Angebot vor uns, unsere Lebenserfahrungen unter diesem Licht zu sehen:[2]
- Das Angebot etwa, in der wöchentlichen Tafelarbeit im Foyer vielleicht mal ein Rauschen der Sehnsucht dieses Jesus zu hören, der sagt: „Ich habe mich unglaublich danach gesehnt, dieses (Passah)mahl mit euch zu essen.“ (Lk 22,15)
- Das Angebot etwa, im engagierten Einsatz junger Menschen in der Gemeinde vielleicht mal eine Flamme des jugendlichen Jesus im Tempel sehen, der sich genau da zuhause fühlte. (Lk 2,41–52)
- Das Angebot, immer mehr zu lernen, in der gemeinsamen Ausrichtung der Gemeinde auf die Geschichte des Christus einen Hauch von Gott zu spüren.
Als Angebot, nicht als zwingende Wahrheit. Aus überzeugender Erfahrung, nicht aus bloßem Pflichtgefühl. Überzeugt durch das Gefühl von Hoffnung, wenn ich von Versöhnungsgeschichten erfahre. Das Gefühl von Befreiung, wenn ich Vergebung für meinen Bockmist erlebe. Das Gefühl von Heilung, wenn ich mich verstanden und angenommen weiß.
Ein letzter Gedanke, der zugleich für nächste Woche die Tür öffnet: Mit Vers 4 nimmt ‚Lukas’ uns mit in eine Bewegung des Geistes: von außen, nach innen, nach außen. Wir empfangen, verarbeiten, und geben weiter. Alles durch den Geist, der uns auf den auferweckten Christus ausrichtet. Wir suchen nach einer Sprache für das, was wir erleben. Und wir bekommen eine Sprache, die wir uns selbst nicht einfach beibringen. Damit geht es nächste Woche weiter …
Amen.
Anmerkungen
[1] Sogar die Zukünftigen, wenn man V. 5–13 beachtet!
[2] Die folgenden Beispiele stammen aus dem lukanischen Sondergut …
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