Täuschen?

Der folgende Text ist die dritte und letzte von drei Predigten zu Apostelgeschichte 2,1–13. Die drei Teile bildeten eine dreiwöchige Predigtreihe unter dem Titel „Ein Hauch von Gott“. Sie lief bis Pfingsten in der FeG Fischbacherberg. Die Predigt kann man hier nachhören. Den ersten Teil gibt es hier zum Nachlesen, den zweiten Teil hier, ein paar Predigtnotizen hier.

Rückblick

Zwei Wochen haben wir schon hinter uns, haben mit unserem Predigttext gefragt: Was ist das eigentlich, das die ersten Christinnen und Christen so „berauschte“, so „Feuer und Flamme“ machte? Das war Teil eins: Rauschen. Dann haben wir letzte Woche danach gefragt, was das denn nun bei der Gemeinde ausgelöst hat: sie fingen an, von dem zu erzählen, wie sie in Jesus dem Christus begegneten – und die Umherstehenden mussten: Lauschen. Mitmachzettel: „Geist bewegt mich – Jesus ist der Motor in meinem Leben.“

Die Pfingstgeschichte nimmt uns also mit und erzählt uns auf besondere Weise, wie die Jesusbegegnung in der Gemeinde „ankam“ und was sie dort auslöste. Wie der Geist zum „Motor“ der Kirchengeschichte wurde. Heute im dritten und letzten Teil geht es um die Reaktionen, die das dem Text zufolge bei Außenstehenden hervorrief.

… aber, täuschen?

Heute geht’s (ein wenig) um Täuschungen. Wer sich ein wenig mit dem Tagesgeschehen der sozialen Netze im Internet auskennt, hat in den letzten Tagen eine ganz große (wie ich finde großartige) Täuschung miterlebt: #verafake. Das fulminante Comeback von Jan Böhmermann, bei dem er zwei Schauspieler als falsche Kandidaten in die RTL-Sendung „Schwiegertochter gesucht“ eingeschleust hat. Und manche*r erinnert sich vielleicht noch an den letzten Streich #varoufake. Weil das aber nicht allen etwas sagen wird, habe ich euch ein anderes Beispiel mitgebracht.

Der folgende Satz bringt die heutige Predigt in ihrer Zweideutigkeit auf den Punkt: „Mich begeistern optische Täuschungen.“ Und wir probieren heute Morgen zusammen eine aus, die auch noch unglaublich gut zum Thema passt. (Unter dem Link zur Audioaufnahme findet sich auch ein Link zu dieser optischen Täuschung.)

 

Habt ihr ihn gesehen? Den Jesus? Oder besser gesagt: die europäisierte Wunschvorstellung von Jesus … seht ihr ihn noch, vielleicht beim Blinzeln? Ein wenig skurril, oder? Ich habe es beim Predigtschreiben ausprobiert und hatte dann auch Sekunden später immer wieder Jesus vor Augen. Nicht die schlechteste Art der Predigtvorbereitung 🙂 Man nennt dieses Phänomen „Nachbild“ – eine optische Täuschung! Aber, (und damit nähern wir uns dem Thema) kann man sich auch über den Geist täuschen?

Es gibt eine ganz bekannte andere optische Täuschung, die noch etwas besser zu dem passt, worum es mir heute geht: Die „Rubinsche Vase“. Oder die Gesichter. Wer weiß das schon. Schwarz oder weiß? Das bleibt uneindeutig. Vase, aber auch Gesichter. Gesichter, aber auch Vase. Aber. Ein kleines Wörtchen, das Gegensätze bezeichnet. Korrekturen. Einwände. Nie für sich steht, sondern zwei Dinge auf eine recht eigenartige Weise verbindet. Es steht am Anfang von allen Versen, die wir uns heute besonders anschauen. Auf euren Textzetteln wird euch das auffallen: Die Sätze auf der Vorderseite beginnen alle mit „und“. Die Sätze auf der Rückseite mit „aber“ (Ausnahme: V. 8).

Jedes „Aber“ in einem Satz macht ihn uneindeutig. „Ich will ja nichts sagen, aber …“ — „Das war ja ganz gut, aber …“ — „Ich bin ja kein Nazi, aber …“. Uneindeutig. Und das entspricht ganz und gar unserem Text. Denn die Reaktionen auf die Erfahrungen der hier erzählten Gemeinde sind uneindeutig. Zweideutig. Erstaunt und verwirrt.

… aber, Erstaunen? (V. 7.12)

7 Aber sie waren außer sich und staunten. Sie sagten: „Schau an, sind das nicht alles Galiläer, die da reden?

12 Aber sie alle waren außer sich und ratlos, einer sagte zum anderen: „Was wird das wohl sein?“

 

Ich wiederhole mich, aber es geht nicht anders: Es geht hier in Apg 2 um Christuserfahrung. Nicht um abstrakte spirituelle Gestimmtheit, nicht nur um irgendeine wohlige Emotion. Es geht um eine besondere Art von Gefühl. Nämlich die, dass ich mich von der Jesusgeschichte angesprochen fühle. Mehr noch: Dass ich mich in sie hineinversetzt fühle. Und sogar noch mehr: Dass diese Jesusgeschichte etwas mit meinem Leben, Denken und Handeln macht.

Die Menschen reagieren mit Staunen. Das ist ja der Wunschtraum: Wir leben unser „christliches“ Leben so vor uns hin und begeistern damit Menschen von den Möglichkeiten, die christliche Religion für die Lebensgestaltung bietet. Oder einfacher: Wir leben möglichst „christlich“, und andere finden’s gut. Staunen.

Manchmal geht’s uns ja ähnlich, wenn wir über beeindruckende christliche Menschen staunen. Bei den „großen“Persönlichkeiten des Christentums ist das relativ leicht. Bei denen, die dem gewöhnlichen Mainstream entgegenstehen: Franz von Assisi, Dietrich Bonhoeffer, Mutter Teresa, … da haben manche vielleicht ihre eigenen Favoriten. An solchen Lebensgeschichten kann man dann beobachten, was ich in unserem Text entdecke: „Das sind doch alles Galiläer!“ Oder eben: „Das sind doch ganz normale Leute! Wie kommt es, dass uns deren Biografien so begeistern?“ Aber das sind natürlich irgendwie außergewöhnliche Gallionsfiguren des Christentums.

Die Gemeinde, von der wir in der Apostelgeschichte lesen, das war sicher keine christliche High Society. Sie bestand sicher nicht nur aus Franziskanern, Bonhoeffers und Teresamüttern. Sondern aus Menschen wie du und ich. Und selbst bei Menschen wie mir und dir ist das doch vorstellbar: Hier und da versuchst du vielleicht ein wenig, dieses christliche Salz schmecken und das Licht leuchten zu lassen. Mal bewusst. Mal zufällig. Und manchmal erregt es vielleicht wirklich ein Staunen darüber, dass du ab und zu deine kranke Nachbarin besuchst. Staunen darüber, dass du geduldig dem jungen Syrer versuchst Deutsch beizubringen.  Staunen darüber, dass du für gewöhnlich nicht bei jeder persönlichen Beleidigung gleich zum Gegenschlag ausholst. Kleinigkeiten. Vermeintliche Kleinigkeiten. Himmlische Kleinigkeiten.

Himmlisch deshalb, weil ich glaube, dass darin etwas ähnliches passieren kann wie bei unserer optischen Täuschung vorhin: Dass Menschen ein Bild von dem Jesus vor Augen bekommen, der uns begeistert. So verschwommen und farblos das auch manchmal sein mag.

Ein weiteres Statement von den Mitmachzetteln: „Ich habe mich gefragt, ob mich der Geist vielleicht häufiger bewegt, als ich manchmal denke – während ich krampfhaft überlege, ob er mich überhaupt bewegt.“

Genau das ist es doch: Wie soll sich denn der Geist des auferweckten Christus anders zeigen als durch seine Gemeinde? Als durch uns? Und manchmal tut er es tatsächlich. Sicher öfter, als ich denke. Bringt Menschen durch uns zum Staunen. Und wo das durch mich geschieht, staune ich selbst wahrscheinlich am meisten …

Doch es gibt auch die Kehrseite. Ein: „Ich versuch’ es ja so gut es geht, aber …“

… aber, Verwirrung? (V. 6.13)

6 Aber als dieses Geräusch aufkam, kam eine Menge zusammen und war verwirrt, weil jeder sie in seinem je eigenen Dialekt reden hörte.

13 Aber andere sagten, um sich lustig zu machen:
„Sie sind voll von neuem Wein!“

 

à Das ist die andere Seite der Medaille. Die Zweideutigkeit. Und ich finde, die muss man sich immer wieder bewusst machen: Wenn die Jesuserfahrung so eindeutig wäre, müsste die weltweite Kirche eigentlich größer sein. Wenn der Geist dieses Jesus so überzeugend wäre, dann dürfte es eigentlich doch nur die eine Religion geben. Ob es so ist, könnt ihr euch selbst ganz leicht beantworten.

Der ‚Lukas’ genannte Erzähler ist hier ganz realistisch. Das ist mir sehr sympathisch. Manche Menschen staunen über den christlichen Glauben – andere können damit einfach nichts anfangen. Sind vielleicht „religiös unmusikalisch“, wie der Soziologe Max Weber es über sich selbst sagte. Oder stehen dem christlichen Glauben gar skeptisch, ablehnend oder aggressiv gegenüber.

Manchmal kann ich das gut nachvollziehen. Obwohl (oder gerade weil?) ich ziemlich tief im Christentum verwurzelt bin, verwirrt mich vieles daran. Vor allem Dinge, die aus meiner Sicht dem Evangelium von der christlichen Freiheit widersprechen. Aber das ist wohl im Text nicht gemeint, sondern vielmehr die Verwirrung durch das Evangelium selbst.

  • Die Verwirrung, die entsteht, wenn verletzte Opfer den Täterinnen und Tätern vergeben und so die Gewaltspirale durchbrechen.
  • Die Verwirrung, die entsteht, wenn zerstrittene Lager aufeinander zugehen und so Brücken statt Mauern bauen.
  • Die Verwirrung, die entsteht, wenn gebrochene Biografien trotzdem ihren Platz im Mosaik der Gesellschaft finden.

Das verwirrt, weil das hingebungsvolle Leben dieses Jesus aus Nazareth die Maßstäbe umkehrt. Man sieht irgendwas. Ein verschwommenes Bild vielleicht. Und tut es ab. Als Illusion. Als Utopie. Als „Opium fürs Volk“ – oder eben als die natürliche Folge des Weins. Täuscht man sich damit?

‚Lukas’ lässt es ganz schön offen, wie ich finde. Und gerade das finde ich realistisch. Und ehrlich. Als würde ich nicht auch manchmal denken, wie verrückt das alles ist. Geschwisterliebe. Nächstenliebe. Feindesliebe. Ich finde wirklich, dass es einfachere Wege gibt als Vergebung, Versöhnung und die Herausforderung, über meinen eigenen Schatten zu springen.

Wenn ich das so denke, dann begegnen mir im Text nicht einfach zwei Gruppen – die Zustimmerinnen und die Ablehner – sondern ich begegne mir selbst in meiner Zweideutigkeit. Kann mir eingestehen, dass mein Glauben und Leben immer wieder uneindeutig ist. Mal in begeisterter Zustimmung, mal in verwunderter Entfernung, Skepsis oder gar Ablehnung.

… aber, warum?

Warum? Weil ich all das nicht selbst in der Hand habe. Gerade das gehört zur Rede vom Heiligen Geist – dass ich mein Glauben nicht selbst mache. Und folglich auch die Folgen meines Glaubens nicht selbst produziere. Weil ich über Gott nicht selbst entscheide.

Für mich ist das eine große Entlastung. Weil ich nicht daran vorbei komme, dass mein Glauben uneindeutig ist. Und jede überzeugte Eindeutigkeit wird mir ehrlich gesagt zunehmend suspekt. Weil selbst der Geist nicht eindeutig ist. Die einen staunen, die anderen pöbeln. Beide irgendwie zu Recht, wie es scheint.

 

Pfingsten ist das Fest, um die Uneindeutigkeit des Glaubens und der Gemeinde, die ihn lebt, zu feiern. Weil es dich davon befreit, richtig liegen zu müssen. Weil es dich davon entlastet, dich festlegen zu müssen. All das, weil es Gottes Sache ist. Nur Gott selbst kann dich von Gott überzeugen. Das ist Pfingsten: wenn Gott es tut. Da entsteht Gemeinde, wo Geist passiert. Nie ganz eindeutig, aber immer irgendwie überzeugend. Bewegend. Begeisternd.

Amen.

 

 

 

Abendmahl

Bei aller Uneindeutigkeit mag man sich fragen, woran man sich dann halten soll. Ich mache euch ein Angebot, vielmehr macht Jesus selbst dieses Angebot: der mit Brot und [Wein] gedeckte Tisch! Da ist Platz für einen uneindeutigen Glauben. Für Menschen, die sich immer wieder neu begeistern lassen wollen und die gerade in diesem Wunsch, in dieser Sehnsucht gemeinsam an den Tisch kommen. Zur Ruhe kommen im Hin und Her des Lebens, sich stärken lassen können – nicht umsonst benutzt dieses Ritual das Symbol einer Mahlzeit!

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